FGZ-Jahrestagung 2025: Zusammenhalt in Zeiten der „Disruption“

Vom 8. bis 9. Oktober 2025 lud das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) zur Jahreskonferenz „Zusammenhalt in Zeiten der ‚Disruption‘“ nach Leipzig (hybrid) ein. Über die zentralen Erkenntnisse oder Diskussionen sprachen wir mit Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg, Direktor des FGZ.

Personen sitzen auf einem Podium und diskutieren

FGZ-Jahrestagung 2025, Leipzig

 Florian Förster/FGZ

Herr Professor Groh-Samberg, welche Bilanz ziehen Sie nach der Jahreskonferenz 2025 des Forschungsinstituts Gesellschaftlicher Zusammenhalt in Leipzig?

Portraitfoto Olaf Groh-Samberg

Prof. Dr. Olaf Groh-Samberg, Direktor des FGZ

Florian Förster/FGZ

Die Resonanz war sehr positiv – sowohl quantitativ als auch qualitativ. Wir haben uns in den zwei Tagen intensiv und kritisch mit dem Begriff der „Disruption“ auseinandergesetzt und ihn im Kontext unterschiedlicher Prozesse beleuchtet: von ökonomischen Verwerfungen über politische Polarisierung bis hin zu kulturellen Bruchlinien. Besonders wertvoll war der gelungene Dialog zwischen Wissenschaft und Praxis. Wir haben nicht nur Diagnosen gestellt, sondern konkrete Ansätze für demokratischen Zusammenhalt erarbeitet.

Welche aktuellen „Disruptionen“ stehen im Mittelpunkt Ihrer Forschungsagenda – und welche Rolle spielt demokratischer Zusammenhalt?

Der Begriff der Disruption beschreibt letztlich eine neue Qualität des Erstarkens autoritärer Kräfte, die die Grundlagen der Demokratie gezielt angreifen. Sie zielen dabei bewusst auf Spaltung, Konflikt und Polarisierung. Am FGZ untersuchen wir diese Prozesse zum Beispiel in Forschungsprojekten zu Demokratievertrauen und Wahlverhalten, zu lokalen Protesten im europäischen Vergleich, zu Polarisierungsdynamiken in den sozialen Medien oder zu transnationalen Diskursdynamiken der Neuen Rechten. Demokratischer Zusammenhalt heißt dabei nicht Harmonie, sondern die Fähigkeit, Spannungen und Konflikte im Rahmen demokratischer Prozesse und Verfahren auszutragen – ohne die Grundwerte von Pluralismus und Gerechtigkeit preiszugeben.

Welche Diskussionen oder Erkenntnisse dieser Tagung haben Sie besonders bewegt?

FGZ-Jahrestagung 2025

FGZ-Jahrestagung 2025, Leipzig

Florian Förster/FGZ

Tarik Abou-Chadis beeindruckende Analyse zur Normalisierung des Rechtsradikalismus war ein Weckruf: Er zeigte empirisch fundiert auf, wie etablierte Parteien durch ihre Reaktionsmuster ungewollt extremistische Positionen salonfähig machen. Ebenso erhellend waren die Analysen zu aktuellen Konfliktdynamiken, aber auch die Entdeckung der großen Parallelen zwischen unserem Forschungsinstitut und unserem chilenischem Partner COES sowie die Debatten über „Infrastrukturen des Zusammenhalts“ – die zeigten, dass Zusammenhalt kein abstraktes Ideal ist, sondern sich in konkreten lokalen Strukturen materialisiert. Bewegt hat mich persönlich auch die Diskussion zu Möglichkeiten des Dialogs zwischen Antisemitismuskritik und postkolonialer Theorie. Es waren viele spannende Themen!

Das FGZ versteht sich als Brücke zwischen Wissenschaft, Politik, Medien und Zivilgesellschaft. Wie ist dieser Austausch auf der Konferenz gelungen?

Location-Bild der FGZ-Jahrestagung 2025, Leipzig

FGZ-Jahrestagung 2025, Leipzig

Florian Förster/FGZ

Der Transfer ist sehr gut gelungen. Das Podium mit Natalie Pawlik, Patrick Bahners und Winfried Kluth zu Migration und Zugehörigkeit war keine akademische Fingerübung, sondern ein echter Realitätscheck. In mehreren Panels diskutierten Akteure aus der Praxis mit Forschenden – etwa über die Herausforderungen bei der Bereitstellung von Infrastruktur oder über Erinnerungspolitik in der Einwanderungsgesellschaft. Solche Formate zeigen: Wissenschaft kann gesellschaftlichen Zusammenhalt nicht verordnen, aber sie kann Orientierungswissen bereitstellen und blinde Flecken ausleuchten.

Nach zwei Tagen intensiver Diskussion – welche Themen möchte das FGZ in den kommenden Jahren vertiefen?

Nachdem in der ersten Förderphase des FGZ Gefährdungen des Zusammenhalts im Fokus standen, untersuchen wir nun in der zweiten Förderphase Zusammenhalt als eine notwendige Ressource für Transformation. Da der Begriff des Zusammenhalts inhaltlich und normativ sehr unspezifisch ist und unterschiedlich aufgeladen werden kann, arbeiten wir an der Konkretisierung eines Konzepts des demokratischen Zusammenhalts. Damit möchten wir einerseits zur theoretischen Grundlagenforschung beitragen, andererseits aber auch praxisnah forschen und Antworten auf aktuelle gesellschaftliche Herausforderungen geben.

Besten Dank für Ihre Einblicke, Herr Professor Groh-Samberg!

Alle Infos zur FGZ-Jahreskonferenz 2025 finden sich hier.

(Das Interview erfolgte schriftlich am 28.18.2025; Fragen: Katrin Schlotter)

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ)

Das Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt (FGZ) ist ein interdisziplinäres, transferorientiertes und ortsverteiltes Institut. Es besteht seit 2020 und wird vom Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) gefördert. Das FGZ verbindet Grundlagenforschung zum gesellschaftlichen Zusammenhalt mit anwendungsnaher Forschung zu aktuellen Herausforderungen aus einer Vielfalt an disziplinären Perspektiven.

Der Wissenstransfer am FGZ reicht von klassischer Politikberatung über öffentliche Formate, in denen Ergebnisse für unterschiedliche Zielgruppen aufbereitet werden. Wissenstransfer umfasst am FGZ darüber hinaus die Ko-Produktion von Wissen mit einem breiten Netzwerk an Praxispartner:innen.

Die elf Standorte – acht Universitäten und drei außeruniversitäre Forschungseinrichtungen – bringen sich mit jeweils eigenen Profilen in das FGZ ein. Sie vervielfachen die bundesweite Reichweite unserer Forschungs- und Transferaktivitäten. Gleichzeitig bilden sie die regionale Verankerung und Diversität gesellschaftlichen Zusammenhalts ab.

Das aktuelle FGZ-Forschungsprogramm

Im aktuellen Forschungs- und Transferprogramm der zweiten Förderphase (2024–2029) blicken rund 200 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf die Bedeutung von Vielfachkrisen für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Wie wird der gesellschaftliche Zusammenhalt in Zeiten der Transformation gefährdet? Aber auch: Wie wird Zusammenhalt unter diesen Herausforderungen wirksam? Ein besonderer Fokus unseres Programms liegt dabei auf den Kriterien eines demokratischen Zusammenhalts. Wann ist Zusammenhalt demokratisch? Wie und wodurch besteht demokratischer Zusammenhalt im weltweiten Vergleich und im Wettbewerb mit alternativen Konzeptionen?

FGZ-Jahreskonferenz 2025: Forschung zu Zusammenhalt und Disruption

Konferenzprogramm „Zusammenhalt in Zeiten der ‚Disruption‘“ (PDF)

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