RADIS-Crisis Talk in Brüssel: "Der ewige Antisemitismus und der Schutz jüdischen Lebens in Europa – Was tun?"
Am 5. März 2024 lud RADIS in Kooperation mit dem Leibniz-Forschungsnetzwerk "Umweltkrisen – Krisenumwelten", Forschungszentrum „Normative Orders“ und Hessische Landesvertretung in Brüssel zu einem Fachgespräch zum Thema "Der ewige Antisemitismus und der Schutz jüdischen Lebens in Europa – Was tun?" ein.
Der brutale Überfall der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger am 7. Oktober 2023 und die Reaktion Israels in Gaza hatte auch unmittelbare Konsequenzen für Jüdinnen und Juden in Europa. Anschläge auf jüdische Einrichtungen und Drohungen gegenüber Jüdinnen und Juden in Europa verstärken Unsicherheiten und einen ohnehin bereits zuvor vorhandenen strukturellen Antisemitismus. Einmal mehr stellt sich die Frage, was getan werden muss, um jüdisches Leben in Europa nachhaltig zu schützen und Antisemitismus zu bekämpfen. Die Expertinnen und Experten dieses Fachgesprächs diskutierten die Herausforderungen und konkrete Lösungen.
Die Brüsseler Fachgespräche sind ein Dialogformat, welches gezielt Themen im politischen Brüssel setzen und bedienen kann. Es handelt sich dabei um ein Podiumsgesprächsformat zur Mittagszeit, welches PRIF (Peace Research Institute Frankfurt) mit der Hessischen Landesvertretung in Brüssel im Kontext der Crisis Talks etabliert hat und welches eine ideale Plattform zur Vernetzung der Förderlinie mit europäischen Partnern und EU-Institutionen sowie mit europaweiten wissenschaftlichen Netzwerken bildet.
Claus-Peter Appel, stellvertretender Leiter der Landesvertretung Hessen bei der EU, thematisierte in seiner Begrüßung die Aktualität von Antisemitismus nach den Angriffen der Hamas am 07. Oktober 2023 auf Israel. Er wies darauf hin, dass Antisemitismus weiterhin tief in der Gesellschaft verankert ist, was durch den Anstieg antisemitischer Straftaten in Deutschland und Europa unterstrichen wird. Appel betonte die Dringlichkeit, die Diskussion über jüdisches Leben und unsere grundlegenden Werte energisch zu führen.
Rebecca Schmidt, Geschäftsführerin des Forschungszentrums „Normative Orders“ an der Goethe-Universität Frankfurt, betonte die Bedeutung des Dialogs zwischen Wissenschaft und Politik für die Bewältigung der komplexen Herausforderungen unserer Zeit, wie z. B. Antisemitismus. Sie unterstrich, dass Forschung nicht isoliert in akademischen Elfenbeintürmen stattfinden darf, sondern aktiv den Wissenstransfer in die Politik und Gesellschaft suchen und beidseitige Diskussionen fördern muss. Schmidt appellierte, über bloße Bekenntnisse hinaus gemeinsam gesellschaftliches Engagement zu zeigen und die Verantwortung für unser Zusammenleben in Europa ernst zu nehmen.
In ihrem Impulsvortrag betonte Prof. Dr. Stefanie Schüler-Springorum, Leiterin des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin und Koordinatorin des Forschungsnetzwerks Antisemitismus im 21. Jahrhundert FoNA21, die essenzielle Rolle von Staat und Polizei beim Schutz jüdischen Lebens. Sie machte darauf aufmerksam, dass Antisemitismus oft als vereinfachte Antwort auf komplexe Probleme angesehen wird und hob hervor, dass eine klare Trennung zwischen legitimer Kritik an der israelischen Politik und antisemitischen sowie antizionistischen Haltungen von großer Wichtigkeit ist.
Als konkrete Maßnahmen schlug sie vor, dass jüdische Gemeinden Schutz auf zweierlei Ebenen benötigen: Zum einen vertikal, durch staatliche Maßnahmen, und zum anderen horizontal, durch ein verstärktes Engagement der Zivilgesellschaft. Besonders unterstrich sie die Bedeutung von jüdisch-muslimischen Allianzen als essentielles Element für den Aufbau eines solidarischen Miteinanders. Schüler-Springorum betonte die Notwendigkeit, aus der Geschichte zu lernen und die Verteidigung demokratischer Werte als Grundstein für den Schutz jüdischen Lebens in einer diversen Gesellschaft zu sehen.
In der darauffolgenden Podiumsdiskussion, moderiert von Michael Thaidigsmann (Journalist und fester freier Mitarbeiter der Jüdische Allgemeine), erläuterte Prof. Dr. Oliver Decker (RADIS / RIRA), Direktor des Else-Frenkel-Brunswik-Instituts für Demokratieforschung an der Universität Leipzig, die Erkenntnisse der Leipziger Autoritarismus-Studie. Seit 2002 erforscht die Studie das Ausmaß extrem rechter Einstellungen innerhalb der Gesellschaft, wobei der Schwerpunkt seit 2018 auf der Analyse autoritärer Dynamiken sowie u. a. auf Antisemitismus liegt. Decker hob hervor, dass Antisemitismus kein Problem der Ränder mehr ist, sondern tief in der Mitte der Gesellschaft verwurzelt ist. Er erläuterte, dass der Antisemitismus sowie die Tendenz, ihn verdeckt zu äußern, bereits vor dem 07. Oktober 2023 sowohl in Deutschland, als auch global einen Anstieg verzeichneten.
Auf die Frage, wie die Europäische Kommission Antisemitismus definiert, insbesondere im Kontext der Kritik an Israel, erläuterte Katharina von Schnurbein, EU-Beauftragte für die Bekämpfung von Antisemitismus und die Förderung des jüdischen Lebens, dass die Kommission die Definition der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) seit 2017 übernommen hat. Diese Definition betont die Wichtigkeit des Kontexts und die Notwendigkeit, jede Aussage sorgfältig zu prüfen. Sie hob hervor, dass die Europäische Kommission Strategien und Programme entwickelt hat, um die Mitgliedstaaten zur Umsetzung eigener Maßnahmen zu bewegen. Dabei sind 20 Mitgliedstaaten bereits aktiv geworden, indem sie entweder eigenständige Strategien gegen Antisemitismus entwickelt oder solche Initiativen in ihre nationalen Strategien gegen Rassismus und Diskriminierung integriert haben.
Yohan Benizri, Vorstandsmitglied des Jüdischen Weltkongresses, thematisierte speziell die Herausforderungen im Umgang mit Antisemitismus in Belgien nach den Ereignissen vom 07. Oktober. Er kritisierte die weitverbreitete Ignoranz und die politischen Herausforderungen, die die Bekämpfung von Antisemitismus erschweren, und wies darauf hin, dass trotz der Anerkennung der IHRA-Definition durch den belgischen Senat im Jahr 2018 eine umfassende Strategie gegen Antisemitismus fehle.
Abgerundet wurde die Podiumsdiskussion durch zahlreiche und anregende Publikumsfragen, die die Relevanz des Themas untermauerten. Die Veranstaltung brachte ca. 130 Personen aus verschiedensten (politischen) Institutionen in Brüssel zusammen.
Die Veranstaltung wurde durch die Unterstützung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des Verbundprojekts RADIS zur BMBF-Bekanntmachung "Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa" finanziert.
Autorin: Shaimaa Abdellah, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im RADIS Projekt, Wissenstransfer
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