Islamismusforschung: Erkenntnisse und Perspektiven des RADIS-Forschungsnetzwerks
Seit 2020 untersuchen Forschende des Netzwerk RADIS Ursachen und Wirkungen von Islamismus. Auf der Abschluss- und Transfertagung am 8. April 2025 diskutierten sie Ergebnisse und Empfehlungen. Weitere 15 Millionen Euro stellt das Bundesministerium für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) für die Islamismusforschung bereit.
Grußwort des damaligen Bundesforschungsministers Cem Özdemir
RADIS/Ute Seitz
Warum wenden sich Menschen extremistischen Ideologien zu? Wie wirkt sich Islamismus auf bestimmte gesellschaftliche Gruppen oder die Gesellschaft insgesamt aus? Und was folgt aus diesen Erkenntnissen für die Arbeit der Präventionspraxis, Politik und Verwaltung, Zivilgesellschaft, Sicherheitsbehörden und Medien? Unter dem Dach des RADIS-Netzwerkes erforschten zwölf Projekte in der gleichnamigen Förderlinie des Bundesministeriums für Forschung, Technologie und Raumfahrt (BMFTR) die gesellschaftlichen Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa – zusammen mit Praxispartnern.
RADIS: Forschung hoch 12
Islamismus ist gleichermaßen eine sicherheitspolitische wie gesellschaftspolitische Herausforderung. Mehr als 100 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des RADIS-Netzwerkes stellten sich dieser Herausforderung – und erforschten sie mit ganz unterschiedlichen Methoden und Zugängen.
In der BMFTR-Förderlinie zeichneten die Forschenden sicherheits- und gesellschaftspolitische Entwicklungen nach, ebenso wie mediale Diskurse sowie deren Auswirkungen auf Polarisierung und Spaltungsprozesse, die hin zur Radikalisierung führen können. Zudem analysierten sie Faktoren von Radikalisierungsprozessen, darunter soziale, räumliche und affektive Einflüsse. Auch die Rolle der Kommunikation verschiedener Akteure wurde untersucht, beispielsweise die Strategie islamistischer Akteure im digitalen Raum oder der Kommunikationsstrategie muslimischer Organisationen nach Anschlagsereignissen. Dabei rückte die Perspektive der Betroffenen in den Fokus, sowohl die Erlebnisse von Jüdinnen und Juden mit muslimischem Antisemitismus als auch die Erfahrungen von Musliminnen und Muslimen mit Diskriminierung, staatlicher Regulierung und antimuslimischem Rassismus. Ebenfalls beleuchtet wurden religionswissenschaftliche und religionssoziologische Aspekte, etwa die Analyse religiöser Diskurse im gesellschaftshistorischen Kontext oder die Rolle der Religion in der Verarbeitung von Kränkungen, die in der Radikalisierung münden können. Ein besonderer Schwerpunkt lag auf dem Sozial- und Bildungssektor, insbesondere den Schulen: Hier standen die strukturellen und praktischen Bedingungen für die Prävention islamistischer Radikalisierungsprozesse sowie die damit einhergehenden Herausforderungen pädagogischer und sozialarbeiterischer Fachkräfte im Fokus. (Informationen zu den Projektverbünden, ihren Forschungen und Ergebnissen finden Sie hier auf der Website des RADIS-Netzwerkes).
RADIS-Tagung: Austausch über zentrale Erkenntnisse
Eröffnungsvortrag von Prof. Dr. Junk, Leiter des Transferprojekts RADIS
RADIS/Ute Seitz
Auf der Abschluss- und Transfertagung stellte das RADIS-Netzwerk nach mehr als vier Jahren intensiver Forschung die Erkenntnisse der Förderlinie zur Diskussion: Bei der Tagung, die am 8. April 2025 in der Leibniz-Gemeinschaft in Berlin stattfand, kamen die RADIS-Forschenden mit Vertreterinnen und Vertretern der Präventionspraxis sowie aus Politik, Verwaltung, Medien und Zivilgesellschaft zusammen(siehe Tagungsprogramm und RADIS-Pressemitteilung).
Hier einige der übergreifenden Erkenntnisse der ersten Förderlinie, die Prof. Julian Junk, Leiter des Transferprojekts RADIS, in seinen einleitenden Worten auf den Punkt brachte:
Die RADIS Forschungen zu Islamismus haben sich den komplexen gesellschaftlichen Zusammenhängen und Fragestellungen gewidmet, die über die bisherigen Ergebnisse hinaus trotz hoher Relevanz weiter unterforscht sind. Diese umfassen nicht nur Anschläge und Gewalt, sondern grundlegende Fragen der Gesellschaft, Polarisierung, Stigmatisierung, die wiederum Nährböden für weitere Radikalisierungen bilden.
Blick in die Veranstaltung
RADIS/Ute Seitz
Radikalisierungsprozesse, Polarisierung, extremistische Ideologien wirken für soziale Gemeinschaften und unser politisches Gemeinwesen destabilisierend. Und das nicht nur in Deutschland. Gesellschaften in der ganzen Welt sind – teils noch stärker als in Deutschland – von Destabilisierung über Extremismus und insbesondere Islamismus betroffen. Die Auseinandersetzung mit Islamismus ist also eine zentrale Herausforderung für unsere Gesellschaft und die repräsentative Demokratie.
Islamismus ist eng mit Rassismus, Diskriminierung und sozialer Ausgrenzung und Identitätskonflikten verbunden. Diese Dynamiken verstärken sich auch gegenseitig und führen zu Spannungen, die über muslimische Communities hinausgehen. Das RADIS-Netzwerk hat daher auch den Austausch mit anderen Forschungsnetzwerken – wie zum Beispiel zu Antisemitismus, Rassismus, Rechtsradikalismus, Sicherheitsforschung – gesucht, gepflegt und mitgestaltet. Aus gutem Grund: Es sind sowohl phänomenübergreifende, als auch phänomenbezogene Netzwerkarbeiten von Forschung und Prävention wichtig. Vor dem Hintergrund der ständigen Veränderungen und des technologischen und gesellschaftlichen Wandels müssen Maßnahmen der Präventionspraxis ständig neu reflektiert und ausrichtet werden.
Die RADIS-Forschenden empfehlen für den Umgang mit Islamismus und Radikalisierung ineinandergreifende Strategien: In der Forschung zu Islamismus und anderen extremistischen Erscheinungsformen braucht es eine innovative Vernetzung von Wissensbeständen über Disziplinen hinweg sowie zwischen Wissenschaft und Fachpraxis. Eine differenzierte, sensible und professionelle politische Kommunikation gegenüber Entscheidungsträgern sei notwendig, um nachhaltige Prävention und demokratische Errungenschaften zu sichern.
Und noch weitere Empfehlungen des Forschungsnetzwerks: Die Zusammenarbeit zwischen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Akteuren sollte gestärkt werden, um langfristige, breit angelegte und transferorientierte Forschung sowie wirkungsvolle Präventionsarbeit zu gewährleisten. Dazu seien pädagogische Fachkräfte auszubilden und zu schulen. Muslimische Communities wiederum müssen aktiv und gesellschaftspolitisch einordnend auf islamistische Anschläge reagieren, so die Forschenden. Radikalisierungs- und Co-Radikalisierungsspiralen müssten verhindert, Maßnahmen zur Demokratieförderung, Stärkung von gesellschaftlicher Teilhabe und Vielfalt sowie Antirassismus-Arbeit unterstützt, weiterentwickelt und langfristig angelegt werden. Auch die hochdynamischen islamistischen Botschaften an immer jünger werdende Jugendliche in den Sozialen Medien (Instagram, TikTok etc.) und auf Plattformen im Internet (YouTube) seien unmittelbar und langfristig wirkungsvoll zu bekämpfen, um weitere Polarisierung und Spaltung zu verhindern.
Neue BMFTR-Förderlinie zu Islamismus veröffentlicht
Trotz aller Erkenntnisse ist also noch viel zu tun. Mit der neuen Förderlinie „Islamismus: Auswirkungen, Gegenstrategien und Präventionsmaßnahmen“ stellt das BMFTR ab Anfang 2026 erneut bis zu 15 Millionen Euro bereit. Ziel der Förderung ist es, unter anderem neue Phänomene wie die Online-Radikalisierung und die Auswirkung von Fluchterfahrungen auf Radikalisierungsprozesse zu erforschen. Auch hier soll das Wissen aus der Forschung langfristig zur Verbesserung der Präventions-, Distanzierungs- und Deradikalisierungsarbeit beitragen. Entsprechend wird auch erneut ein Begleitvorhaben gefördert, das die Projekte der Förderrichtlinie intern und extern vernetzt, wissenschaftliche Erkenntnisse zusammenführt, den gesellschafts- und praxisorientierten Ergebnis- und Wissenstransfer unterstützt. Für die neue Förderphase können sich sowohl neue als auch bereits geförderte Projekte bewerben.
Extremismus- und Radikalisierungsforschung
Im BMFTR-Rahmenprogramm für die Geistes- und Sozialwissenschaften (2019 – 2025) „Gesellschaft verstehen – Zukunft gestalten“ nimmt die Extremismus und Radikalisierungsforschung eine zentrale Rolle ein. Das BMFTR hat dafür mehrere Förderlinien auf den Weg gebracht: Ziel ist es, durch interdisziplinäre Forschung mehr Wissen über die vielfältigen Hintergründe, Dynamiken und Formen von Gewalt und Extremismus zu erlangen, die unser Zusammenleben gefährden. Dazu zählen Antisemitismus, Rechtsextremismus, Rassismus, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und radikaler Islamismus in Deutschland und Europa.
Das Transfervorhaben RADIS, das vom BMFTR gefördert wird, vernetzt intern und extern zwölf Forschungsprojekte der BMFTR-Förderlinie „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“ und unterstützt die Forschungsprojekte bei der Identifizierung übergreifender Fragen, Herausforderungen und Thesen, die die großen Themen der gesamten Förderlinie abbilden. Die 12 RADIS-Projekte analysierten von 2020 bis 2025 das Feld Islamismus aus verschiedenen disziplinären Perspektiven und theoretischen und methodischen Blickwinkeln: Sie erforschten unter anderem die Ursachen von Radikalisierung, Präventionsstrategien oder die Auswirkungen von Islamismus auf die Gesellschaft und die damit verbundenen Diskurse
Laufzeit: 11/2020 - 10/2025
Die Forschungsprojekte der BMFTR-Förderlinie „Gesellschaftliche Ursachen und Wirkungen des radikalen Islam in Deutschland und Europa“
Auswirkungen des radikalen Islam auf jüdisches Leben in Deutschland (ArenDt)
Religiöse Deutungsmachtkonflikte und Überbietungskämpfe im globalen Feld des Salafismus (Deutungsmacht)
Deutscher Islam als Alternative zum Islamismus? (D:Islam)
Strukturelle Ursachen der Annäherung an und Distanzierung von islamistischer Radikalisierung (Distanz)
Konfigurationen von gesellschaftlichen und politischen Praktiken im Umgang mit dem radikalen Islam (KURI)
Optimierte Krisenkommunikation nach Anschlägen mit Islamistischen Hintergrund in Deutschland (OKAI)
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