Josef Schuster: „Antisemitismus ist ein Alltagsphänomen“

Forschung ist elementar im Kampf gegen Judenhass: Sie hilft, Wissenslücken zu schließen, Verschwörungsideologien zu entlarven und Handlungsempfehlungen zu erarbeiten. Durch sie „wird der Kampf gegen Antisemitismus evidenzbasiert“, sagt der Präsident des Zentralrats der Juden.

Öffentliches Pressebild Zentralrat der Juden

Zentralrat der Juden

Was ist derzeit die größte Bedrohung für Jüdinnen und Juden in Deutschland?

Antisemitismus ist ein Alltagsphänomen. Es gibt ihn nicht nur in rechtsextremen und verschwörungsideologischen Milieus oder islamistisch motiviert, sondern in den Salons bester bürgerlicher Stuben. Die Hälfte der Deutschen möchte einen Schlussstrich unter die Vergangenheit, den Nationalsozialismus, ziehen; ein Viertel ist der Meinung, Juden hätten zu viel Einfluss in der Welt. Diese Ergebnisse der repräsentativen Umfrage der Bertelsmann-Studie aus dem vergangenen Jahr sind irritierend und bedrohen Jüdinnen und Juden in ihrer grundsätzlichen Daseinsberechtigung in unserem Land. Das gilt zum Beispiel auch bei Angriffen auf die durch die Verfassung geschützte Religionsfreiheit, die die freie Entfaltung von Juden in Frage stellt.

Gibt es auch positive Entwicklungen?

Das Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland hat 2021 gezeigt, wie eng jüdische Werte und jüdisches Denken mit unserem Land verbunden und verwoben sind. Trotz Corona hatte der zu dem Festjahr gegründete Verein „321 – 2021 Jüdisches Leben in Deutschland“ eine große Reichweite entwickelt und sehr viel Zustimmung aus der Gesellschaft erfahren. Darüber hinaus scheint mir, dass gerade im Bereich Schule und Bildung der Nachholbedarf in der Antisemitismusprävention erkannt wurde.

Was kann Forschung im Kampf gegen Antisemitismus beitragen?

Gerade, was Verschwörungsideologien angeht, scheint sich mir ein weites Feld für wissenschaftliche Arbeiten aufzutun. Der ganze Bereich des Wissenstransfers, zum Beispiel durch daraus erwachsene Handlungsempfehlung, kann außerdem einen wichtigen Beitrag leisten. Genau an dieser Stelle setzen ja das „FonA21-Metavorhaben“ und die geförderten Verbundprojekte an. Einerseits kann Forschung Lücken in der Intervention und Repression aufzeigen, zum Beispiel im Bereich der Justiz. Andererseits können aus der Forschung auch Handlungsempfehlungen kommen, beziehungsweise wirksame Mittel in der Prävention aufgezeigt werden, beispielsweise in der Schule oder auch in der Polizeiausbildung. So wird der Kampf gegen Antisemitismus evidenzbasierter.

Wo sehen Sie noch Wissenslücken, die geschlossen werden müssen?

Häufig fängt es dabei an, dass Antisemitismus als solcher erst einmal erkannt werden muss. Hier spielt auch Medienkompetenz eine wichtige Rolle.

Was ist Ihr Vision für die Zukunft: Wie kann ein friedliches Miteinander ohne Antisemitismus und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit gelingen?

Ich bin zwar ein Optimist, aber wohl durch meine medizinische Ausbildung von Hause auch ein Realist. Seit Jahrzehnten ist zudem der Anteil der Bevölkerung mit antisemitischen Vorurteilen weitestgehend gleichgeblieben. Was sich in den vergangenen Jahren geändert hat, ist die Lautstärke, mit der diese öffentlich artikuliert werden. Das liegt auch daran, dass Rechtspopulisten in Parlamenten sitzen, die die Grenze des Diskurses immer wieder verschieben. Das bedroht zudem den Zusammenhalt unserer Demokratie insgesamt. Meine Hoffnung ist, dass wir als Gesellschaft durch eine starke geschlossene Haltung diese Entwicklung zumindest schrittweise zurückdrängen.

Mehr zum Thema: