Geschichte des Antisemitismus - Der Sammler Wolfgang Haney

Der Berliner Sammler Wolfgang Haney (1924–2017) baute in knapp 30 Jahren – zwischen 1989 und 2017 – eine fast 15.000 Objekte umfassende Privatsammlung auf, deren Schwerpunkte auf der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland und Europa, der NS-Verfolgungs- sowie Holocaustgeschichte und der Erinnerungskultur, aber auch dem Rechtsradikalismus nach 1945 liegen.

Kurt, Leonore und Hugo Friedlaender (v. l. n. r.) vor ihrem Lebensmittelgeschäft in Berlin Pankow, ca. 1936, Fotografie, 13 x 8,6 cm, unbekannte:r Fotograf:in.

Kurt, Leonore und Hugo Friedlaender (v. l. n. r.) vor ihrem Lebensmittelgeschäft in Berlin Pankow, ca. 1936, Fotografie, 13 x 8,6 cm, unbekannte:r Fotograf:in.

Berlin, Familienbesitz

Kurt, Leonore und Hugo Friedlaender (v. l. n. r.) vor ihrem Lebensmittelgeschäft in Berlin Pankow, ca. 1936, Fotografie, 13 x 8,6 cm, unbekannte:r Fotograf:in

Wolfgang Haney und seine Frau Marie-Luise (v. r. n. l.), 2000, Fotografie, 10 x 13,4 cm, unbekannte*r Fotograf*in.

Berlin, Familienbesitz

Wolfgang Haneys Ziel war es, mit seiner Kollektion über Antisemitismus und Nationalsozialismus aufzuklären sowie politisch zu bilden, weil er und seine Familie während der NS-Zeit Ausgrenzung, Verfolgung und Mord erleben mussten. Aufgrund dieser Motivation stellte er seine Sammlungsobjekte äußerst großzügig als Leihgaben für verschiedene, nationale und internationale Ausstellungsprojekte sowie für Publikationen zur Verfügung und hielt selbst Vorträge. Für sein Engagement erhielt Haney 2006 das Bundesverdienstkreuz am Bande sowie 2015 den Obermayer German Jewish History Award.

Ende 2019 erwarb das Deutsche Historische Museum mit der Unterstützung der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und der Kulturstiftung der Länder die Sammlung Haney. Diese wird  in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Verbundprojekt „Der Sammler und seine Dinge. Die Sammlung Wolfgang Haney“ zwischen dem Deutschen Historischen Museum und dem Zentrum für Antisemitismusforschung erschlossen und erforscht.

Die Eltern: Erna und Gottfried Haney

Erna Haney, 1922, Fotografie (Ausschnitt), 13,9 x 9,2 cm, unbekannte:r Fotograf:in.

Erna Haney, 1922, Fotografie (Ausschnitt), 13,9 x 9,2 cm, unbekannte:r Fotograf:in.

Berlin, Familienbesitz

Wolfgang Haney wurde am 9. Januar 1924 als Sohn von Gottfried (1888–1971) und Erna Haney (geb. Friedlaender, 1895–1990) in Berlin geboren und wurde wie sein Bruder Franz (1921–2008) katholisch getauft. Er war elf Jahre alt, als er aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Mutter durch die 1935 von den Nationalsozialisten erlassenen „Nürnberger Gesetze“ als sogenannter Mischling 1. Grades galt. Aus diesem Grund musste er mehrfach die Schule wechseln, die von seinen Mitschüler/innen und Lehrer/innen ihm gegenüber ausgehende antisemitische Gewalt ertragen und schlussendlich seine Schullaufbahn vorzeitig abbrechen.

Gottfried Haney, 1920, Fotografie, 14 x 9,5 cm, unbekannte:r Fotograf:in.

Gottfried Haney, 1920, Fotografie, 14 x 9,5 cm, unbekannte:r Fotograf:in.

Berlin, Familienbesitz

Rückblickend stellte Wolfgang Haney fest, dass er in Bezug auf seine Lehre und sein Studium durch jeweilige Sondergenehmigungen stets Glück gehabt hatte: Zum 1. April 1940 begann er eine Lehre als Maurer im Hermann Streubel Baugeschäft und beendete diese drei Jahre später. Am 24. März 1942 erhielt er die Berechtigung, die Staatsbauschule in Berlin Neukölln zu besuchen. Mit der staatlichen Prüfung am 19. Februar 1944 war Haney Diplom-Ingenieur für Tiefbau.

Erna Haney – die Mutter – musste 1939 den Zwangsname „Sara“ annehmen. Ab Ende 1944 war sie als Zwangsarbeiterin in der Blindenwerkstatt von Otto Weidt in Berlin beschäftigt. Als die Gestapo die Blindenwerkstatt durchsuchte, wurde Erna rechtzeitig gewarnt. Sie überlebte durch die Hilfe ihres Sohnes Wolfgang die NS-Zeit in einem Versteck im Wald von Rehfelde bei Berlin.

Gottfried Haney – der Vater – war nicht bereit, sich als sogenannter Arier von seiner Ehefrau scheiden zu lassen. Deshalb verwehrte ihm die Reichsmusikkammer der Reichskulturkammer die Mitgliedschaft, welche jedoch Voraussetzung für die offizielle Ausübung seines Berufs als Musiker und Musiklehrer gewesen wäre. Im November 1944 wurde er als Zwangsarbeiter in ein Lager der Organisation Todt eingewiesen, bis er aufgrund massiver gesundheitlicher Schwierigkeiten einen Monat später entpflichtet wurde.

Die Großeltern: Hugo und Leonore Friedlaender

Wolfgang Haney im Alter von neun Jahren, 1933, Fotografie (Ausschnitt), 15,6 x 9 cm, unbekannte:r Fotograf:in

Wolfgang Haney im Alter von neun Jahren, 1933, Fotografie (Ausschnitt), 15,6 x 9 cm, unbekannte:r Fotograf:in

Berlin, Familienbesitz

Auch die Großeltern Wolfgang Haneys mütterlicherseits, Hugo (1862–1938) und Leonore (1865–1941, geb. Fränkel) Friedlaender, die in Berlin Pankow ein Lebensmittelgeschäft führten, waren von den Maßnahmen Repressionen der Nationalsozialisten betroffen. Erna Haney, ihre Tochter, erinnerte sich rückblickend: „Das Geschäft florierte, ging aber 1933 durch den nationalsozialistischen Boykott sehr zurück und meine Eltern mussten es 1937 aufgeben, ohne einen Pfennig Geld dafür zu erhalten. Mein Vater starb am 14. Mai 1938. Meine Mutter musste ins Jüdische Altersheim, da ich, weil ich in privilegierter Mischehe lebte, sie nicht aufnehmen durfte. Sie starb im Jüdischen Krankenhaus in der Auguststrasse am 14. Juli 1941.“

Im Lebensmittelgeschäft Friedlaender arbeitete auch Ernas Bruder Kurt (1897–1942). Am 01. November 1941 deportierten die Nationalsozialisten Kurt und seine Ehefrau Friederike (1891–1942, geb. Boldes) von Berlin zuerst in das Ghetto Litzmannstadt und von dort am 09. Mai 1942 weiter in das Vernichtungslager Kulmhof, wo sie zu einem unbekannten Zeitpunkt ermordet wurden.

Nach 1945

Unmittelbar nach Kriegsende dokumentiert ein behelfsmäßiger Ausweis, dass Wolfgang Haney als Leiter des Tiefbauamtes in Berlin-Charlottenburg tätig war. In diese Position gelangte er durch einen puren Zufall: Er wollte sich und seiner Familie ein Haus in Eichkamp zuteilen lassen – mit Erfolg – und als der Verantwortliche vor Ort feststellte, dass Haney Tiefbauingenieur war, bot er ihm diese Stelle an. Zwischen 1951 und 1956 arbeitete er als Bauleiter bei Siemens & Halske, und im Anschluss daran bis zu seiner Pensionierung am 31. Januar 1989 in der Berliner Kraft- und Licht-Aktiengesellschaft (BEWAG) in der Dienststelle „Grundstücks- und Hausverwaltung“. 1961 heirateten Wolfgang Haney und seine zweite Ehefrau Marie-Luise (1917–2007, geb. Senff). Aufgrund ihres eigenen Verfolgungsschicksals während der NS-Zeit brachte Marie-Luise stets besonderes Verständnis für die Sammlung ihres Mannes auf.

Wolfgang Haney war zeit seines Lebens ein begeisterter Sammler. Bereits mit Ende des Krieges trug er eine Briefmarken- und eine Postkartenkollektion und vor allem eine umfangreiche numismatische Sammlung zusammen. Er war Mitglied der Numismatischen Gesellschaft zu Berlin e. V. sowie Vorsitzender der Berliner Münzfreunde e. V. Sein anhaltendes Interesse für den Themenkomplex der Numismatik bildete dann den Brückenschlag zur heutigen „Sammlung Wolfgang Haney“.


Autorin: Wiebke Hölzer
 

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