Wissenschaftsfreiheit und Demokratie in Zeiten der Spaltung

Mit einem abwechslungsreichen Programm brachte die Veranstaltung „Freedom of Research: A European Summit“, mitorganisiert vom Käte Hamburger Kolleg: Kulturen des Forschens (c:o/re), zum zweiten Mal europäische Stimmen aus Wissenschaft, Politik und Kultur nach Aachen, um die Relevanz von Forschungsfreiheit für die Zukunft Europas zu diskutieren.

Publikum während des Symposiums

Publikum während des Symposiums des „Freedom of Research: A European Summit“.

Christian van't Hoen

Was bedeutet es, in Europa frei zu denken, zu sprechen und zu forschen in einer Zeit, die von politischen Spannungen, Desinformation und gesellschaftlicher Spaltung geprägt ist? Diese Frage stand im Fokus der zweiten Ausgabe desFreedom of Research: A European Summit, die vom 5. bis 6. November 2025 unter dem Motto „Europa in Zeiten der Spaltung“ in Aachen stattfand. Das zweitägige Veranstaltungsformat, bestehend aus einer festlichen Auftaktveranstaltung, einem wissenschaftlichen Symposium und einer Stand-Up Night, brachte internationale Forschende, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wirtschaft und Kultur, Studierende sowie Aachener Bürgerinnen und Bürger zusammen. Im Zentrum stand der Dialog über den Schutz der Wissenschaftsfreiheit und den Erhalt demokratischer Werte in einer zunehmend polarisierten Gesellschaft.

Wissenschaftsfreiheit zwischen politischem Druck und demokratischer Verantwortung

Wie schnell sich die akademische Landschaft unter einer neuen Regierung verändern kann, zeigen die aktuellen Entwicklungen in den USA. In ihrem Impulsvortrag bei der Auftaktveranstaltung des Summits am 5. November 2025 am Käte Hamburger Kolleg c:o/re sprach die Journalistin Ines Pohl, Leiterin des Deutsche Welle Büros in Washington, über die fortschreitende Begrenzung von Wissenschaftsfreiheit unter der aktuellen US-Administration. Durch die Kürzung von Fördermitteln, einer Flut von Bürokratie und Gerichtsverfahren sowie einer Liste verbotener Wörter werden Bildungseinrichtungen und ihre Mitglieder eingeschüchtert und die Erforschung bestimmter Disziplinen erschwert. Als eine mögliche Antwort auf diese Art von politischer Einflussnahme nannte Ines Pohl die Stärkung der internationalen akademischen Gemeinschaft, in der sich Forschende angesichts veränderter Umstände stärker über Grenzen hinweg vernetzen und gegenseitig unterstützen sollten. Die Situation in den USA müsse Europa als Mahnung dienen, die eigenen Strukturen zum Schutz der Forschungsfreiheit und Wissenschaft zu überprüfen und auszubauen.

Die Bedeutung der Meinungsfreiheit und des kritischen Denkens sowie die Rolle der Wissenschaft beim Schutz der Demokratie wurde von Roger de Weck, Bestseller-Autor und Publizist, in seiner Keynote-Rede bei der offiziellen Eröffnung des Summits im historischen Krönungssaal des Aachener Rathauses am Abend des gleichen Tages hervorgehoben. Er betonte, dass eine freie, offene, immer auch die eigene Position hinterfragende Wissenskultur unerlässlich für eine Demokratie ist, um die Glaubwürdigkeit von Forschung zu wahren. Denn wie er die philippinische Journalistin und Friedensnobelpreisträgerin Maria Ressa zitierte: „Ohne Fakten gibt es keine Wahrheit, ohne Wahrheit gibt es kein Vertrauen. Und ohne diese drei Elemente gibt es keine gemeinsame Realität.“ Und ohne diese gemeinsame Realität gibt es keine stabile Demokratie.

Wissenschaft als öffentliches Gut: Transparenz, Vertrauen und Dialog stärken

Podiumsdiskussion

Podiumsdiskussion “Freedom under Pressure: Funding as a political Weapon”.

Christian van't Hoen

Beim wissenschaftlichen Symposium, das am 6. November 2025 im SuperC der RWTH Aachen University stattfand, wurden weitere Facetten der Wissenschaftsfreiheit beleuchtet, insbesondere in Bezug auf die Bewältigung aktueller und zukünftiger Herausforderungen für Europa. In Vorträgen, Paneldiskussionen und kurzweiligen TED-Talks ging es um die Notwendigkeit, Wissenschaft nicht nur unabhängig von politischer Einflussnahme, sondern auch frei von Ökonomisierungsdruck sowie prekären Finanzierungslogiken ausüben zu können.

Neben Einblicken in konkrete Maßnahmen, die zur Destabilisierung von Wissenschaftsfreiheit beitragen, beispielsweise die digitale Transformation des Publikationssystems, in dem quantitative Kennzahlen zunehmend den Wert von Forschung und ihre thematische Ausrichtung bestimmen, wurde in vielen Beiträgen diskutiert, wie die Auffassung von Wissenschaft als öffentliches Gut wieder gestärkt werden kann. Professorin Maria Leptin, Präsidentin des Europäischen Forschungsrats, erläuterte in ihrer Keynote-Rede, dass Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft gerade dann am besten diene, wenn sie frei von ideologischen Inhalten und Zwängen ist. Wissenschaft sei aber auch keine Dienstleistung. Der Wert der Wissenschaft liege in ihrer langsamen, explorativen Qualität. „Pizza wird geliefert, Forschungsergebnisse nicht. Wir sollten Wissen nicht wie eine Ware behandeln“, sagte sie.

Am Beispiel des Themas EU-Erweiterung wurde diskutiert, wie wichtig eine transparente Aufklärung der Öffentlichkeit über die potenziellen Vorteile und Herausforderungen solcher Entscheidungen europäischer Institutionen ist. Dieser Kommunikationsauftrag lässt sich auch auf die Wissenschaft übertragen. Gerade in Zeiten des demokratischen Rückschritts, geopolitischer Unsicherheit und des sinkenden Vertrauens in Wissenschaft und Politik ist die Herausforderung groß, ein Wissenschaftsverständnis zu vermitteln, das die Ziele, Prozesse und Grenzen von Forschung greifbar macht und damit Vertrauen in die Funktionsweise des freien wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns stärkt. Um demokratische Werte und Wissenschaftsfreiheit zu bewahren, liegt die Verantwortung nicht nur in der organisatorischen Aufstellung von Institutionen, sondern auch bei den Forschenden selbst, als aktiver Teil der Gesellschaft zusammenzuarbeiten und zielgerichtete Kommunikationsangebote innerhalb und außerhalb der akademischen Gemeinschaft zu schaffen.

Keynote von Prof. Dr. Maria Leptin

Keynote von Prof. Dr. Maria Leptin, Präsidentin des Europäischen Forschungsrats.

Christian van't Hoen

Freiheit außerhalb der Universität: Auf der Bühne und im Alltag

Der Dialog mit Studierenden sowie Aachener Bürgerinnen und Bürgern wurde mit der „Stand-Up FoR Science Night“ im Apollo Kino & Bar gesucht, die auch den Abschluss des Summits bildete. Mit einem Parallelprogramm bestehend aus Poetry Slams, Late-Night-Talks mit der Comedienne Clara Maria Groppler sowie Maximilian Doeckel und Jonathan Focke, den „Quarks Science Cops“, einer Lesung und zwei Filmvorführungen wurde das komplexe Thema der Wissenschaftsfreiheit in unterhaltsame, kurzweilige Formate übersetzt. Die verschiedenen Beiträge zeigten auf, wie sich wissenschaftliche Mythen und Verschwörungstheorien durch das Offenlegen typischer Argumentationsmuster und logischer Leerstellen enttarnen lassen, und wie schnell freie Meinungsäußerung zur Bedrohung individueller Freiheiten werden kann, wenn sie von Hassrede, gezielter Desinformation oder Einschüchterung begleitet wird. Es wurde deutlich, dass Wissenschaftsfreiheit nicht nur auf den Themenbereich von Universitäten und Forschungseinrichtungen beschränkt ist, sondern viele Aspekte des alltäglichen Lebens, ganz vorne dabei die demokratische Mitbestimmung, umfasst.

Late Night Talk

Late Night Talk mit den „Quarks Science Cops”.

Christian van't Hoen

 Der Summit wurde gemeinsam von der Stiftung Internationaler Karlspreis zu Aachen sowie dem Knowledge Hub und dem Käte Hamburger Kolleg: Kulturen des Forschens (c:o/re) der RWTH Aachen University organisiert.

Autorin: Jana Hambitzer
 

Käte Hamburger Kollegs

Die BMFTR-geförderten Käte Hamburger Kollegs bieten Geistes- und Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern die Möglichkeit, frei von vielen Verpflichtungen des Wissenschaftsalltags zu selbst gewählten Themen gemeinsam mit herausragenden nationalen und internationalen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zu forschen. Dazu laden die Kollegs Forschende aus aller Welt, sogenannte Fellows, jeweils bis zu zwölf Monate nach Deutschland ein.

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