Blick zurück nach vorn: Das Käte Hamburger Kolleg an der Universität Erlangen-Nürnberg zieht Bilanz und wagt Prognosen

Was bringt die Zukunft? Diese Frage beschäftigt seit jeher die Menschen weltweit. Das als Käte Hamburger Kolleg gegründete Internationale Kolleg für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) an der Universität Erlangen-Nürnberg hat 14 Jahre lang Zukunftsprognosen als kulturelle Praxis in Europa und Ostasien erforscht.

Prof. Dr. Michael Lackner, Gründungsdirektor des Käte Hamburger Kollegs, zieht Bilanz über die im Juni 2023 abgeschlossene BMBF-Förderung und gibt Einblicke in den Forschungsschwerpunkt „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“.

„Jahrtausende lang glaubten Menschen in Ostasien und Europa daran, dass höhere Mächte unsere Geschicke bestimmen. Und weil sie wissen wollten, was auf sie zukommt, nutzten sie unterschiedliche Methoden der Wahrsagung“, sagt Prof. Dr. Michael Lackner, Direktor des Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (IKGF). „Heute nennen wir das lieber Prognose, aber unser Bedürfnis nach Vorhersagen ist immer noch groß. Ganz egal, ob es um die Corona-Pandemie oder um den Klimawandel geht. Und in Ostasien und vielen anderen Teilen der Welt sind traditionelle Formen der Wahrsagung bis heute weit verbreitet.“

Transkulturell und transdisziplinär

Seit 2009 befasst sich das IKGF mit Zukunftsforschung quer durch Zeit und Raum und erforscht aus internationaler, interdisziplinärer und vergleichender Perspektive die historischen Grundlagen der Prognostik. Diese wirkt sich – wenn auch in veränderter Form – auf die „Bewältigung der Zukunft“ in unserer unmittelbaren Gegenwart aus.

Das Kolleg hat jährlich zehn bis 20 herausragende Forscherinnen und Forscher unterschiedlicher Disziplinen eingeladen, um gemeinsam neue Perspektiven zu den historischen Grundlagen der Prognostik und ihren Auswirkungen auf die Zukunftsbewältigung zu gewinnen. Mehr als 200 Forschende aus aller Welt haben Zusammenarbeit zwischen den beiden Kerndisziplinen Sinologie und Mediävistik, aber auch mit zahlreichen anderen Disziplinen belebt.

Ein anschauliches Beispiel war die Ausstellung im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg „Zeichen der Zukunft. Wahrsagen in Ostasien und Europa“. „Das Spektrum unserer Ausstellung reichte vom 13. Jahrhundert v. Chr. bis in die Gegenwart, von China bis nach Europa – all dieses Wissen zu bündeln, ist der unglaublichen Resonanz unserer Fellows und weitreichenden Forschungskooperationen zu verdanken“, betont Lackner.
Wie vielfältig und aktuell die Prognostik ist, zeigte das IKGF auch im Oktober 2021 während des „Erlanger Humanities Festival 2021“ der breiten Öffentlichkeit: Unter dem Motto „Was wird werden? Blicke in die Zukunft“ richtete das IKGF eine zweitägige Tagung und zahlreiche Kulturevents aus - vom Science Slam über Fengshui- Workshops bis hin zu Politiktalks mit Friday for Future und einer Diskussionsrunde zur Corona-Pandemie. Das Festival wurde durch das BMBF im „Metavorhaben Geistes- und Sozialwissenschaften“ gefördert.

Ist Schicksal verhandelbar? Beispiele aus der Forschung

Im Fokus der Forschung des IKGF standen die Vorstellungen zum individuellen und kollektiven Schicksal in Lebenswelt und Weltanschauung des traditionellen, modernen und gegenwärtigen Chinas (bzw. Ostasiens), mittelalterlichen Europas sowie weiterer Kulturräume. Die Erkenntnisse zum Verhältnis zwischen den Einstellungen zu Schicksal und Prognose haben erhellende Antworten auf die Frage nach dem Ort ermöglicht, den Freiheit in verschiedenen Kulturen einnimmt. Prof. Dr. Michael Lackner skizziert dies an einem Beispiel aus der kulturvergleichenden Forschung:Im Fatalismus wird Prognose überflüssig, weil ohnehin alles vorherbestimmt ist. In der chinesischen Kultur kann mit dem Schicksal, wie Lackner erläutert, gewissermaßen verhandelt werden: Im Jahre 1550 wandte sich ein angsterfüllter Prüfling namens Xu Zhongxing einige Monate vor dem Examen an einen Mönch, der ihm anhand physiognomischer Techniken wahrsagte, dass er niemals den höchsten akademischen Grad erreichen werde. Xu war höchst betrübt, was den Mönch zu der Aussage veranlasste, es bedürfe „verborgener Tugend“, um den „numerologisch festgelegten“ Charakteristika seiner Physiognomie zu entgehen. Von armer Herkunft, machte sich Xu sogleich an die Drucklegung einiger Essays, verdiente sich zusätzliches Geld durch den Verkauf von Proben seiner Kalligraphie und versenkte das erworbene Geld zugunsten der, wie er sagte, „Fische“ im Taihu, einem der größten Binnenseen Chinas. Bei einem erneuten Treffen bescheinigte ihm der Mönch nunmehr das Vorhandensein von „verborgener Tugend“, und, siehe da, bei der nächsten Doktoratsprüfung errang er den ersehnten Titel. Zahlreiche ähnlich gelagerte Fälle des Erfolges nach – im chinesischen Verständnis der Zeit „uneigennützigen“ – Schenkungen für Tempel und Klöster könnten berichtet werden. Das Schicksal scheint in diesem Kontext also durch moralisch „richtiges“ Verhalten beeinflussbar. Aber auch Magie (Amulette, Rituale) kann eine Rolle bei der gewünschten Beeinflussung des Schicksals spielen.

Blick zurück und nach vorn

Zum Abschluss der BMBF-Förderung blickt nun auch das IKGF zurück auf das Erreichte und nach vorn in die Zukunft. Aus 14 Jahren Forschung  sind knapp 500 Publikationen, rund 200 Audio- und Videoaufzeichnungen von Vorträgen, eine Fachbibliographie sowie zahlreiche Bücher hervorgegangen. Darunter etwa das Handbuch zur „Prognostik in der mittelalterlichen Welt“ oder das „Handbuch über Wahrsagerei und Prognostik in China“, die Buchreihe ("Prognostication in History") sowie die Zeitschrift („International Journal of Divination and Prognostication“. Zudem hat das IKGF seine Erkenntnisse auf mehreren Dutzend Konferenzen und Events in Erlangen, aber auch international verbreitet. Damit hat das IKGF die Prognostikforschung international geprägt und vorangetrieben.

Das Forschungsfeld ist mittlerweile fest etabliert und soll über die 2016 gegründete „International Society for the Critical Study of Divination“ nachhaltig weitergeführt werden. Die Society gibt beim renommierten Brill-Verlag eine Zeitschrift („International Journal of Divination and Prognostication“ sowie eine Buchreihe („Prognostication in History“) heraus. Ein Erbe, das für die Zukunft bleibt.

KHK „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“

Das Internationalen Kollegs für Geisteswissenschaftliche Forschung (IKGF) „Schicksal, Freiheit und Prognose. Bewältigungsstrategien in Ostasien und Europa“ an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg wurde als eines der BMBF-geförderten Käte Hamburger Kollegs für geisteswissenschaftliche Forschung gegründet. Es deckt die historischen Grundlagen der Prognostik mit ihren Auswirkungen auf unsere unmittelbare Gegenwart und unsere Art der Zukunftsbewältigung auf. Während der Förderung als Käte Hamburger Kolleg lud das IKGF jährlich zehn bis 20 herausragende Forschende unterschiedlicher Disziplinen ein, die für drei bis zwölf Monate vor Ort forschen.

Projektleitung: Prof. Dr. Michael Lackner (Sinologie) , Prof. Dr. Andrea Bréard (Sinologie, seit 2021) und Prof. Dr. Klaus Herbers (Mittelalterliche Geschichte), Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.

Laufzeit: gefördert durch das BMBF von Juli 2009 bis Juni 2021 mit einer Transferphase bis Juni 2023.

Mehr zum Thema