Käte Hamburger Kolleg „re:work“ richtet einen neuen Blick auf das Thema „Arbeit“

Arbeit nimmt in der menschlichen Existenz eine zentrale Rolle ein. Formen und Wertschätzung von Arbeit unterscheiden sich je nach Zeit und Raum jedoch beträchtlich. Ein Riesenthema also, das sich Forschende im Käte Hamburger Kolleg „re:work“ aus globalgeschichtlicher Perspektive annahmen.

Prof. Dr. Andreas Eckert

Prof. Dr. Andreas Eckert, Humboldt-Universität zu Berlin

Exzellenzcluster SCRIPTS/FU Berlin

Das Käte Hamburger Kolleg „re:work“ war 2009 angetreten, einige zentrale Fragen der Arbeitsforschung in globaler Perspektive neu zu stellen, insbesondere Anregungen aus den Diskussionen über Kolonialismus und Postkolonialismus aufzunehmen, nicht-europäischen Regionen in der Geschichte der Arbeit ihren angemessenen Platz zu sichern und schließlich den Zusammenhang zwischen Arbeit und Lebenslauf zu reflektieren. Mithilfe dieser Perspektiven relativierte sich rasch die Bedeutung von „freier Lohnarbeit“ als dem zentralen Modus der Arbeit. Denn Lohnarbeit in Vollzeit über das gesamte Erwerbsleben hinweg, geknüpft an ein solides Wohlfahrtspaket, stellte keineswegs die globale Norm dar, sondern bildete in vielen Teilen der Welt die Ausnahme. Der männliche Proletarier steht selbst in kapitalistischen Kernländern also keineswegs für den exemplarischen Arbeiter, sondern lediglich für ein Beispiel unter vielen. Arbeit jenseits der klassischen Lohnarbeit stand im Zentrum zahlreicher Fellow-Projekte, da dieser Fokus es erlaubt, marginalisierte Gruppen und ihre Tätigkeiten in die Geschichte der Arbeit zu integrieren – Hausarbeit, Kinderarbeit, Pflegearbeit, Strafarbeit, aber auch die Arbeit von Angestellten und Beamten, Polizisten und Soldaten. Besonders bemerkenswert erschien den Forschenden, dass sich Historiker der Sklaverei zunehmend auch als Historiker der Arbeit verstehen und auf Fellowships bei „re:work“ bewarben.

Allerdings gibt es seit einiger Zeit die Tendenz, den Arbeitsbegriff allzu sehr auszudehnen und auf diese Weise das Konzept der Arbeit analytisch zu entleeren und überdies zu entpolitisieren, d.h. Aspekte wie Gewalt, Unterdrückung, Ausbeutung und politische Auseinandersetzungen um Arbeit herunterzuspielen oder gar zu negieren. Ein weiteres konzeptionelles Problem, das im Kolleg intensiv diskutiert wurde, liegt darin, dass die Schlüsselkonzepte der Arbeit, Arbeiterschaft und Arbeiterbewegung auf Erfahrungen innerhalb der Nordatlantikregion beruhen. Ist es daher sinnvoll, sie auch im globalen Maßstab zu nutzen? Eine einfache Lösung für dieses Problem ist nicht in Sicht, wohl aber eine neue Sensibilität für die zentralen Begrifflichkeiten in der Geschichte der Arbeit. Wir sollten also nicht stillschweigend voraussetzen, was unter Arbeit zu verstehen ist, sondern ihre sich wandelnden Bedeutungsinhalte deutlich präziser definieren und nachzeichnen als dies üblicherweise geschieht.

Seit dem Beginn des Kollegs hat das Feld der globalen Arbeitsforschung beträchtliches Wachstum erfahren und sich signifikant gewandelt. Seine Relevanz scheint offenkundiger denn je zuvor. Um das offenkundigste Beispiel zu nennen: Die Corona-Pandemie hat die Welt der Arbeit nachhaltig erschüttert, großes menschliches Leid produziert und die extreme Verwundbarkeit von Millionen Arbeiter*innen und Selbstständigen offengelegt. Das Virus wirkte besonders zerstörerisch auf die ohnehin stark benachteiligten und prekär Arbeitenden und verdeutlichte die zerstörerischen Folgen der enormen Ungleichheiten, die Gesellschaften weltweit prägen. Vor diesem Hintergrund entschlossen die Forschenden im Käte Hamburger Kolleg im Frühsommer 2020, einen Band zum Thema Corona and Work around the Globe herauszubringen, der die Auswirkungen von Corona auf Arbeitsbeziehungen und -praktiken in verschiedenen Teilen der Welt, auf der Ebene von Wohnvierteln, Städten, Regionen oder auch Staaten analysiert.

Ohne das im Rahmen von „re:work“ über viele Jahre geschaffene globale Netzwerk von Forscher*innen wäre es nicht gelungen, innerhalb weniger Monate ein Buch zu publizieren, das ein aktuelles globales Problem im Bereich der Arbeit facettenreich und mit historischer Substanz analysiert. Eine der Stärken des Formats der Käte Hamburger Kollegs bestand genau darin, über einen längeren Zeitraum eine wahrhaft globale Gemeinschaft von Wissenschaftler*innen zu formen, die das Interesse an einem – großzügig definierten – Themenfeld teilt. „Freiraum“ war in diesem Zusammenhang nicht nur eine leere Hülse, sondern beinhaltete die Möglichkeit, Forschungsfragen und -themen systematisch zu entwickeln, und dabei auch Umwege zu gehen oder gelegentlich in einer Sackgasse zu landen. Neben der Gelegenheit, jedes Jahr eine Gruppe von Fellows aus aller Welt und unterschiedlichen Disziplinen einzuladen, konnte man einen Instrumentenkasten entwickeln, der den Bedürfnissen des Kollegs entsprach, im Fall von „re:work“ etwa eine jährliche Sommerschule in Kooperation mit einer Institution im globalen Süden. Auf der großen Abschlusstagung von „re:work“ im Juni 2023 (Tagungsprogramm; PDF) zogen mehr als 130 Teilnehmer*innen, die Mehrzahl ehemalige Fellows, die aus aller Welt nach Berlin gekommen waren, Bilanz und formulierten Fragen für künftige Forschungen. Das Thema Arbeit ist aktueller denn je.

Autor: Andreas Eckert
 

Käte Hamburger Kolleg an der Humboldt-Universität zu Berlin: Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive (re:work)

Das Käte Hamburger Kolleg „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtlicher Perspektive“ leistete Grundlagenforschung zur Geschichte der Arbeit. Es untersuchte, wie das Verhältnis von Arbeit und Lebenslauf seit der Durchsetzung des Kapitalismus in den verschiedenen historischen Konstellationen ausgeformt war, und wie sich das Verhältnis von Arbeit und sozialer Gerechtigkeit zwischen den Generationen gestaltete. Ziel der Forschenden war es, dem Wechselverhältnis von Arbeit und Lebenslauf komparativ nachzugehen.

Direktor: Prof. Dr. Andreas Eckert, Humboldt-Universität zu Berlin

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