Weltuntergangs-Omen und urbane Kunst

Die Kooperation zwischen dem Käte Hamburger Kolleg CAPAS an der Universität Heidelberg und dem Metropolink Festival brachte nicht nur Wissenschaft und Kunst zusammen, sondern auch Lateinamerika und die Metropolregion Rhein-Neckar. Der Streetart Künstler SANER aus Mexiko-Stadt erschuf im Sommer 2022 ein Wandbild an der Julius-Springer-Schule in Heidelberg und eine Sammlung von Drucken.

Grundlage für die künstlerische Arbeit war das Forschungsprojekt des Kunsthistorikers und Anthropologen Prof. Dr. Adolfo Mantilla Osornio, der im akademischen Jahr 2021/2022 als Fellow am Käte Hamburger Kolleg war. Um zu verstehen, wie die verschiedenen genannten Perspektiven zusammenpassen, ist ein Blick auf die historischen Hintergründe nötig.

Ein Weltuntergang muss nicht das absolute Ende aller Dinge bedeuten. Vielmehr versteht CAPAS die Apokalypse als wiederkehrende Erfahrung der Menschheitsgeschichte. Ein prägnantes Beispiel ist der Kolonialismus, der im 15. Jahrhundert unter anderem in Lateinamerika ganze Welten auslöschte. Das wurde in den Erzählungen der Mexica in den Jahrzehnten vor der Ankunft der Eroberer durch außerordentliche Erscheinungen, den in der der Nahuatl-Sprache genannten Tetzahuitl, sprich Omen, vorweggegriffen. Mexica nennt sich das Volk innerhalb der Nahua-Kultur, welches das Aztekenreich im heutigen Mexiko beherrschte. Das Wort Tetzahuitl bezieht sich auf vielfältige, angsteinflößende Ereignisse, die im Zusammenhang mit der Zerstörung der präkolonialen Welt in Mittelamerika stehen. Beispiele dafür sind ein Komet am Himmel oder das Auftreten von monströsen Gestalten. Diese Omen werden im zwölften Buch des Werkes Historia general de las Cosas de la Nueva España erwähnt. Das gesamte Werk ist eine umfassende Enzyklopädie der Nahua-Kultur. Auf Basis von Illustrationen und mündlichen Austausch mit Vertretungen der Mexica schrieb Franziskanerpriester Bernardino de Sahagún die erste Fassung in Nahuatl und Spanisch, vermutlich zwischen 1545 und 1551. Von diesem ersten Manuskript wurden spätere Versionen des Textes abgeleitet, die den bekannten Florentiner Codex und den Codex Matritense bilden.

Postapocalyptic Visons of the 12th Book by SANER

Apokalyptische Visionen der Nahua-Kultur und urbane Kunst in Heidelberg - transdisziplinäre Wissenschaftskommunikation am Käte Hamburger Kolleg für Apokalyptische und Postapokalyptische Studien (CAPAS) im Video

Die in Buch XII erwähnten Omen sind das Ergebnis einer transkulturellen Vision, die versuchte, in den Erzählungen der indigenen Kultur Elemente zu finden, die mit den europäischen Vorstellungen übereinstimmen. Da sie unter dem Einfluss von Franziskanermönchen und unter dem Eindruck der Conquista geschrieben wurde, macht es sie zu einem postapokalyptischen Produkt. Zudem kündigten die Tetzahuitl den Menschen nicht nur den Untergang der alten Welt an, sondern zeigten auch den Beginn einer neuen Ära an.

Wie kommen nun diese historischen Überlieferungen im Hier und Jetzt, bei einem Urban Art Festival im Jahr 2022 in Heidelberg an? SANER und CAPAS-Gastwissenschaftler Mantilla suchten für das Werk Tetzahuitl. Postapokalyptische Visionen des 12. Buches nach Elementen in den Omen, die sich auf heutige Endzeit-Erfahrungen beziehen. Wenn man ihn nach der heutigen Relevanz des historischen Materials fragt, schlägt der Künstler die Brücke zur aktuellen Zeit: "Das Wandgemälde versucht, den apokalyptischen Moment zu zeigen, aber in unserem heutigen Kontext. Es ist inspiriert von Themen aus dem Aztekenreich, als dieses kurz vor dem Untergang stand. Damals wurden acht Omen beschrieben, und wir haben versucht, diese acht Omen in die Gegenwart zu bringen. Unser Ziel war es, den Menschen, nicht nur in Heidelberg, zu zeigen, dass wir als Menschheit möglicherweise jetzt auch vor dem Aussterben stehen. Denn wir stehen vor großen Bedrohungen, wie der Pandemie, der Klimakrise oder Kriegen."

Neben dem Wandgemälde und der Ausstellung der acht Kunstwerke von SANER beteiligte sich CAPAS am Festivalprogramm 2022 auch auf dem Festivalgelände mit zahlreichen Beiträgen, die einen vielfältigen Austausch zwischen Kunst, Wissenschaft und Öffentlichkeit ermöglichten. Die Aktionen umfassten unter anderem auch eine Open-Air-Filmreihe, Gesprächsrunden mit den CAPAS-Fellows, eine Kinderbuchlesung sowie eine interaktive Kunstinstallation Are We Living in the End Times?. In der Kunstinstallation hatten Besucher:innen die Möglichkeit, Karten mit eigenen Gedanken zur Apokalypse zu hinterlassen.

Autorin: Eva-Maria Bergdolt

Wandbild an der Julius-Springer-Schule von Streetart Künstler SANER

CAPAS/ Eva Bergdolt

Streetart Künstler SANER malt sein Wandbild an der Julius-Springer-Schule in Heidelberg

CAPAS/ Felicitas Loest

Streetart Künstler SANER zeigt dem Publikum sein Wandbild an der Julius-Springer-Schule in Heidelberg

CAPAS/ Philipp Schrögel

Urban Art Festival im Jahr 2022 in Heidelberg

CAPAS/ Philipp Schrögel

Urban Art Festival im Jahr 2022 in Heidelberg

CAPAS/ Philipp Schrögel

Urban Art Festival im Jahr 2022 in Heidelberg

CAPAS/ Philipp Schrögel

Urban Art Festival im Jahr 2022 in Heidelberg

CAPAS/ Philipp Schrögel

Zur Autorin

Eva-Maria Bergdolt ist wissenschaftlich Mitarbeiterin am CAPAS und ist dort Teil des Teams Wissenschaftskommunikation. Sie ist hauptsächlich für die Kommunikation an der Schnittstelle von Kunst und Wissenschaft zuständig. Nach dem Erhalt des internationalen Erasmus Mundus Joint Degree Master of Excellence in Euroculture: Society, Politics and Culture in a Global Context von der Universität Deusto, der Uppsala Universitet und der Universidad Nacional Autónoma de México, war sie einige Zeit im internationalen Management und als Produktionsleitung im Kultursektor tätig.

Mehr zum Thema