CALAS: Wissenschaftskooperation in und mit Lateinamerika

Das „Maria Sibylla Merian Center for Advanced Latin American Studies in the Humanities and Social Sciences“ (CALAS) in Mexiko ist das erste und umfangreichste deutschlandweite Kooperationsprojekt mit Einrichtungen aus Lateinamerika – und hat sich als ein erfolgreiches Instrument der internationalen Wissenschaftskooperation etabliert. Wie ist das gelungen?

Interview mit Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt, Leiter des Fachgebiets Internationale und Intergesellschaftliche Beziehungen an der Universität Kassel, Direktor des CALAS und des Kasseler Lateinamerikazentrums CELA.

Das Merian Centre CALAS, das auf der Kooperation von vier deutschen und vier lateinamerikanischen Universitäten basiert, ist Teil des internationalen Netzwerks von Merian Centres in den Geistes- und Sozialwissenschaften. Es wird Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert, um die wissenschaftliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und einem oder mehreren Ländern in verschiedenen Weltregionen zu stärken. 2019 ist CALAS in seine Hauptphase gestartet. Die Universität Kassel koordiniert CALAS mit Sitz an der Universität Guadalajara (Mexiko) gemeinsam mit der Universität Bielefeld. Bei CALAS arbeiten interdisziplinäre Forschungsteams zusammen: Bis zu 25 internationale Fellows werden im Wechsel eingeladen. Die Forschung konzentriert sich auf soziale, politische und ökologische Krisen und wird in den vier Clustern "Sozial-ökologische Transformation", "Soziale Ungleichheiten", "Gewalt und Konfliktlösung" und "Identität" durchgeführt.

Innerhalb des Forschungsverbundes koordiniert die Universität Kassel ein umfangreiches Forschungsprogramm zu Fragen der sozialen Ungleichheit: Es befasst sich mit Elitenforschung, Ungleichheit und Bildung sowie sozial-ökologischen Ungleichheiten. Es forscht zur Zukunft der Arbeit, um langfristig und in internationaler Perspektive ökonomisch produktive, sozial verträgliche und ökologisch nachhaltige Jobs zu schaffen, und erarbeitet mit lateinamerikanischen Partnern digitale Lehrmodule für nachhaltige Entwicklung.

Herr Professor Burchardt, was bedeuten CALAS und die Lateinamerikaforschung für die Universität Kassel, national wie international?

Prof. Hans-Jürgen Burchardt

Prof. Dr. Hans-Jürgen Burchardt leitet das Fachgebiet Internationale und Intergesellschaftliche Beziehungen an der Universität Kassel.

Prof. Hans-Jürgen Burchardt

Für das Erreichen der Klimaziele und dem Aufbau einer nachhaltigen Wirtschaft ist Lateinamerika ein strategischer Partner. Dank CALAS wurde in Kassel das Lateinamerikazentrum CELA aufgebaut, welches wiederum Gründungsmitglied des Kassel Institute for Sustainability ist. Damit ist die Universität Kassel heute ein wichtiger Player bei der internationalen Bearbeitung des Klimawandels. CALAS gehört mittlerweile zu den agilsten Forschungsnetzwerken in Europa und genießt in Lateinamerika eine hohe Reputation, weil wir nicht über, sondern mit Lateinamerika forschen und gemeinsame Lösungen suchen. In der Region wird CALAS als bedeutender Think Tank wahrgenommen und hat einen signifikanten Anteil bei der Außendarstellung Deutschlands in der internationalen Community – und das nicht nur in der Wissenschaft. CALAS zeigt schon heute, wie internationale Zusammenarbeit morgen funktionieren kann.

CALAS hat sich als ein erfolgreiches Instrument der internationalen Wissenschaftskooperation etabliert, und das unter schwierigen Bedingungen in den Partnerländern in Lateinamerika. Worin liegen die Herausforderungen, und wie lassen sie sich meistern? Bitte geben Sie uns ein Beispiel.

Eine besondere Herausforderung für internationale Forschungszentren ist die Absicherung und das Sichtbarmachen der eigenen Forschungsarbeiten für Wissenschaft und Gesellschaft. Die lateinamerikanische Publikationslandschaft ist stark fragmentiert und erschwert dies: Ideen aus Mexiko finden nur selten den Weg nach Chile und umgekehrt. Mit einer konsequenten Umsetzung der Open-Access-Strategie, einer eigenen Essay-Reihe mit Standorten in fünf Ländern sowie in mehreren Sprachen, Kooperationen mit (spanisch- wie englischsprachigen) Fachverlagen und breitenwirksamen Medien sowie flankierenden Werbemaßnahmen wie Podcasts ist es uns gelungen, für unsere Ergebnisse eine erfreulich hohe Präsenz in ganz Amerika und Europa zu erreichen.

Der wissenschaftliche Austausch mit Kollegen aus Lateinamerika ist für CALAS ein zentrales Anliegen. Wie hat die Corona-Pandemie die Zusammenarbeit beeinflusst? Und welche Formate der Wissenschaftskommunikation haben sich bewährt?

Wie die meisten wissenschaftlichen Einrichtungen hat CALAS mit Pandemiebeginn stark auf Digitalisierung gesetzt. Die Ergebnisse sind allgemein bekannt: Digitalisierung verringert Distanzen, schafft aber auch neue Grenzen. Für internationale Absprachen, Verhandlungen, erstes Kennenlernen etc. haben sich visuelle Treffen bewährt, ersparen viele Flugmeilen, schonen die Umwelt und Nerven. Vertiefte Forschungskooperation braucht aber Dialoge, gemeinsames Denken face to face, um zu wirken und kreativ zu sein. Digitale Lehre wiederum kann nicht alle mitnehmen und ist bestenfalls geeignet, wenige zu spezialisieren.

Wir haben drei digitale Vertiefungsseminare zu CALAS-Themen durchgeführt, die interessierte Teilnehmende aus ganz Lateinamerika und Europa zusammengebracht haben. Das ist eine gute Basis für weitere Kooperationen im wirklichen Leben. Zusätzlich haben wir eine spanischsprachige Podcast-Serie gegründet, mit der wir unsere Themen und Publikationen breit vorstellen und diskutieren.

Herzlichen Dank für das interessante Interview, Herr Prof. Burchardt!

Merian Sibylla Merian Centre for Advanced Latin American Studies in the Humanities and Social Sciences (CALAS): Coping with Crises: Transdisciplinary Perspectives from Latin America

Die BMBF-geförderten „Maria Sibylla Merian Centres for Advanced Studies“ ermöglichen eine gänzlich neue Form der inter- und transnationalen Kooperation und Forschung in den Sozial- und Geisteswissenschaften und öffnen vielfältige Perspektiven für die deutsche Wissenschaft. An den Merian Centres in Mexiko, Brasilien, Indien, Ghana und Tunesien forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus Deutschland, dem Gastland sowie weiteren Ländern der Region aus verschiedenen fachlichen Blickwinkeln zu einem selbstgewählten Schwerpunktthema.

CALAS (Centro Maria Sibylla Merian de Estudios Latinoamericanas Avanzados) hat seinen Hauptsitz in Guadalajara, México, und unterhält daneben Regionalzentren in Argentinien, Costa Rica und Ecuador. Die deutschen Universitäten Bielefeld, Kassel, Hannover und Jena sind für die Projektleitung verantwortlich. Darüber hinaus kooperieren zahlreiche weitere Universitäten und Forschungseinrichtungen aus ganz Lateinamerika mit CALAS.

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