Corona-Maßnahmen: BMBF-Verbundprojekt erforscht Meinungsdynamiken auf Twitter

Wie haben unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen auf die Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie auf X, vormals Twitter, reagiert? Und wie hat das die öffentliche Meinung beeinflusst? Dazu forscht das BMBF-Verbundprojekt „Konsens und Polarisierung während der COVID-19-Pandemie (KoPoCoV). Eine automatisierte Analyse der Meinungsdynamiken auf Twitter“.

Marcus Maurer

Prof. Dr. Marcus Maurer, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Petra A. Killick

Im Interview: Prof. Dr. Marcus Maurer, Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs für politische Kommunikation am Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Herr Professor Maurer, warum haben Sie Twitter gewählt, um Konsens und Polarisierung zu messen?

Wir möchten Meinungsänderungen sehr kurzfristig nachvollziehen und brauchen deshalb Daten, die in sehr kurzen Zeitabständen vorliegen, also mindestens auf Tagesbasis. Wir ziehen statt Befragungsdaten also Meinungsäußerungen aus sozialen Medien als Indikator für die Bevölkerungsmeinung heran, prüfen aber gleichzeitig zu bestimmten Zeitpunkten, wie gut diese mit Befragungsdaten übereinstimmen, und passen die Daten gegebenenfalls an. Als wir die Studie geplant haben, war Twitter das soziale Medium, in dem die von uns untersuchten Bevölkerungsgruppen (Bürger, Politik, Medien, Wissenschaft) am stärksten repräsentiert waren. Anders als Facebook oder Instagram ist Twitter ein Medium, in dem sich alle möglichen Gruppen auch zu gesellschaftlichen Themen äußern. 

Sie analysieren, wie unterschiedliche Gruppen die Corona-Maßnahmen bewertet haben und wie sich dies im Zeitverlauf verändert und wechselseitig beeinflusst hat. Gibt es schon erste Annahmen oder Erkenntnisse?

Wir sprechen hier über sehr viele Millionen von Tweets, die analysiert werden müssen. Das müssen wir automatisiert machen und brauchen dazu die Hilfe unserer Projektpartner aus der Computerlinguistik. Die Aufgabe, die Bewertung bestimmter Coronamaßnahmen automatisiert zu messen (Stance Detection), ist für die Informatik schon eine größere Herausforderung. Dieser Projektteil ist jetzt aber schon weitgehend abgeschlossen, und wir sehen, dass das gut funktioniert. Wir können jetzt also demnächst mit den inhaltlichen Analysen anfangen.

Aus Befragungsstudien wissen wir schon, dass die Zustimmung zu den Corona-Maßnahmen zu manchen Zeiten sehr hoch war, während die Bevölkerung zu anderen Zeiten und in Bezug auf andere Maßnahmen durchaus gespalten war. Wir versuchen nun, das mit unseren Daten zu erklären, indem wir das Entstehen abweichender Positionen in bestimmten Gruppen und die Diffusion in andere Gruppen messen. Umgekehrt interessiert es uns aber natürlich genauso, wie ein Konsens über die Maßnahmen in der Bevölkerung entsteht. Dazu, wie diese Meinungsbildungsprozesse ablaufen, gibt es natürlich Theorien und Annahmen, die aber noch nie so geprüft wurden, wie wir das machen werden.

Was kann Ihr Projekt bei der Aufarbeitung der Corona-Pandemie und darüber hinaus leisten?

Die Frage, warum gesellschaftliche Polarisierung entsteht und was man dagegen tun kann, gehört meines Erachtens zu den wichtigsten Fragen unserer Zeit. Wir sollten eine solche Polarisierung nicht herbeireden, weil aktuell die meisten mir bekannten Daten nicht auf eine generelle Spaltung der deutschen Gesellschaft hindeuten. Und natürlich sind unterschiedliche Meinungen in einer Demokratie auch wichtig. Trotzdem erleben wir aber auch bei uns vermehrt zumindest eine temporäre und/oder an einzelne Themen gebundene Polarisierung, in der bestimmte Gruppen kaum noch miteinander sprechen wollen und können. Da sollte man vorbereitet sein und wissen, wie man dem entgegenwirken kann. Unsere Studie alleine kann das vermutlich nicht leisten. Sie ist aber ein Baustein, weil wir aus ihr lernen können, wie Randgruppen, Medien und Politik im Zusammenspiel größere Teile der Bevölkerung in ihrer Meinungsbildung beeinflussen und auf welchen Wegen dies geschieht. Wenn sich diese Muster auch auf andere Krisen übertragen lassen, wäre das schon ein sehr wichtiger Befund.


Vielen Dank für das interessante Interview, Herr Professor Maurer, und weiterhin viel Erfolg bei Ihren Forschungen!

(Das Interview erfolgte schriftlich am 3. Juni 2024, Fragen: Katrin Schlotter)

Das Verbundprojekt „Konsens und Polarisierung während der COVID-19-Pandemie (KoPoCoV). Eine automatisierte Analyse der Meinungsdynamiken auf Twitter“

Im BMBF-Verbundprojekt (gemeinsam mit dem Ubiquitous Knowledge Processing Lab des Computer Science Department der TU Darmstadt) werden Konsens und Polarisierung in den Positionen unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen (Wissenschaft, Politik, Medien, Bevölkerung) zu den Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im sozialen Netzwerk Twitter gemessen. Dabei sollen mithilfe innovativer Methoden aus dem Bereich des Natural Language Processing (NLP) Meinungsäußerungen automatisiert erfasst und Meinungsdynamiken mithilfe zeitreihenanalytischer Verfahren statistisch modelliert werden, um Ursachen und Entwicklungen gesellschaftlicher Spaltungsprozesse zu erkennen. Überblick KoPoCoV

Projektleitung: Prof. Dr. Marcus Maurer (Institut für Publizistik der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und Prof. Dr. Iryna Gurevych (Computer Science Department, TU Darmstadt)

BMBF-Förderlinie: Gesellschaftliche Auswirkungen der Corona-Pandemie

Laufzeit: 2023-2026