Polizei: Auswirkung der Zuwanderung auf Organisation und Diversität

Wie hat sich die deutsche Polizei als zentrale gesellschaftliche Institution in Reaktion auf Einwanderung verändert? Findet interkulturelle Öffnung statt? Wie sieht es mit der Partizipation von Migrantinnen und Migranten aus? Das Projekt „Migration und Polizei – Auswirkungen der Zuwanderung auf die Organisation und Diversität der deutschen Polizei (MIGRATE)“ hat dies empirisch untersucht.

Hinterlassen Sie uns unter diesem Artikel Ihr Feedback gerne in einem Kommentar!

Im Interview Univ.-Prof. Dr. Antonio Vera, Prof. Dr. Rafael Behr, Prof. Dr. Martin Brussig und Prof. Dr. Anja Weiß

Mit Ihrem Projekt haben Sie erforscht, wie sich die Polizei interkulturell öffnet, wie die Partizipation von Migrantinnen und Migranten erfolgt und welche organisationalen sowie integrativen Effekte dies hat. Was ist Ihr wichtigstes Fazit?

Die Polizei spielt nicht nur eine wichtige Rolle bei der erfolgreichen Gestaltung von Migrationsprozessen, sie ist auch von diesen unmittelbar selbst betroffen. Sie musste darauf reagieren und ihre Organisationsstrukturen und ihre Arbeitsprozesse anpassen. Sie sind an neuen, auf die Gefahrenabwehr fokussierten, netzwerkartigen, organisationsübergreifend arbeitenden Einheiten beteiligt, etwa am Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum (GETZ). Zudem entstanden in der Polizei auch stärker auf die Prävention und die gesellschaftliche Integration von Migranten ausgerichtete Einheiten, etwa Ansprechpersonen für interkulturelle Aufgaben in einem Landeskriminalamt oder ein Institut für transkulturelle Kompetenz an einer Polizeiakademie. Eine große Rolle spielen darüber hinaus das interkulturelle Lernen in der polizeilichen Aus- und Fortbildung sowie die Rekrutierung von Personen mit Migrationshintergrund in den Polizeivollzugsdienst. Dabei zeigen sich sowohl Erfolge als auch Misserfolge. Insgesamt scheint die deutsche Polizei allerdings den Herausforderungen der Migration durchaus gewachsen zu sein.

Was haben Sie mit Ihrem Projekt bewirkt?

Was Reflexion und Einordnung von Gefahren für die demokratische Fundierung der Polizei angeht, hat sich unserem Eindruck nach das Klima in der Polizei zum Positiven verändert. Früher sprach man generell von Einzelfällen: Rassistische Haltungen oder übermäßige Gewaltanwendungen wurden weitgehend verharmlost. Mittlerweile spüren wir von der Polizeiführung – aber auch unter den Mitarbeitenden – ein ernsthaftes Bemühen zu einer Kulturveränderung.
Durch unsere Forschungsergebnisse geben wir auch denjenigen eine Stimme, die sonst in der Polizei nicht gehört werden. Das spricht sich herum. Wir sind ja nicht die einzigen, die im Moment von außen auf die Polizei schauen. Immer mehr kleine und größere Einblicke in den Alltag der Polizei bringen etwas in Bewegung. Und, dass die Personen mit Migrationsgeschichte erfahren, dass sie sich artikulieren können, das verändert auch die Atmosphäre in den Dienstgruppen, in den Hundertschaften, also an der Basis. Und das ist vielleicht der größte „Erfolg“ von MIGRATE: Dass Forschung dazu beiträgt, dass sich die Kommunikation in der Organisation verändert.

Derzeit gibt es Diskussionen darüber, inwieweit extremistische Einstellungen bei der Polizei verbreitet sind und was dagegen zu unternehmen ist. Welchen Beitrag können die Erkenntnisse aus Ihrem Projekt dazu leisten?

Viele hoffen auf die Fortbildung von leitenden Beamtinnen und Beamten sowie die Rekrutierung von Bewerbenden mit Migrationshintergrund, um einen Wandel in der Polizei anzustoßen. Das ist sicher nicht verkehrt. Wir betonen aber darüber hinaus, dass Verfahrensregeln zur alltäglichen Polizeiarbeit weiterentwickelt werden sollten. Ein Beispiel hierfür ist die sprachliche Verständigung. Polizeikräfte mit Migrationshintergrund werden auch wegen ihrer Sprachkenntnisse eingestellt, und zugleich stoßen sie deswegen unter ihren Kolleginnen und Kollegen mitunter auf Misstrauen. Helfen würden klare Regeln, wann z.B. Dolmetscherinnen und Dolmetscher hinzugezogen werden müssen und welche Polizeikräfte wann aus dienstlichen Gründen übersetzen dürfen und müssen.

Wir haben außerdem gelernt, dass Grundlagenforschung durch wissenschaftliche Distanz zu Erkenntnissen über das Innenleben der Behörde Polizei beiträgt. Wissenschaft ist nicht die Kontrollinstanz, als die sie Teile der Polizei und öffentlicher Diskurs anscheinend gleichermaßen imaginieren, vielmehr unterstützt sie Professionalisierungsbemühungen aus der Polizei heraus. Schon durch die Planung und Durchführung eines Forschungsprojektes, und erst recht in der Diskussion der Ergebnisse sind Polizeikräfte eingeladen, das eigene berufliche Handeln selbstbewusst zu reflektieren. Hieraus leiten wir ab, dass leitende Stellen der Polizei im Grundsatz für mehr Forschung einstehen sollten.

Antonio Vera

Antonio Vera

Koordination: Univ.-Prof. Dr. Antonio Vera, Fachgebiet Organisation und Personalmanagement, Deutsche Hochschule der Polizei


Prof. Dr. Rafael Behr

Rafael Behr

Prof. Dr. Rafael Behr, Professor für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg


Prof. Dr. Martin Brussig

Prof. Dr. Martin Brussig, Institut für Arbeit und Qualifikation, Universität Duisburg-Essen (UDE)


Prof. Dr. Anja Weiß

Stefan Peters

Prof. Dr. Anja Weiß, Institut für Soziologie, Universität Duisburg-Essen (UDE)


Kommentare (0)

    Die mit einem Stern (*) markierten Felder sind Pflichtfelder.

    Ihr Kommentar und der optional angegebene Name werden auf der Webseite veröffentlicht, nachdem die Redaktion den Kommentar freigegeben hat. 

    Ihre E-Mail-Adresse wird niemals veröffentlicht. Sie erhalten per E-Mail Informationen zum Status der Freigabe und auch die Möglichkeit den Kommentar jederzeit per Link zu löschen.

    Einwilligung zur Datenverarbeitung