Kleines Fach Ukrainische Kulturwissenschaft: Im Interview JProf. Dr. Roman Dubasevych, Universität Greifswald

Die Hintergründe und Folgen des Ukraine-Kriegs analysieren – welchen Beitrag leisten die Geistes- und Sozialwissenschaften?

Junior-Professor Dr. Roman Dubasevych ist Lehrstuhlinhaber für Ukrainische Kulturwissenschaft an der Universität Greifswald

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das öffentliche Interesse an der Ukraine enorm. Welche Fragen werden derzeit an Sie bzw. an Ihre Partner im Projekt UNDIPUS herangetragen?

Junior-Professor Dr. Roman Dubasevych

Junior-Professor Dr. Roman Dubasevych ist Lehrstuhlinhaber für Ukrainische Kulturwissenschaft an der Universität Greifswald und leitet das BMBF-Verbundprojekt UNDIPUS

Presseabteilung Universität Greifswald

Seit dem ersten Kriegstag bekomme ich als Leiter des Lehrstuhls für Ukrainische Kulturwissenschaft, einem von bundesweit zwei Standorten mit einer ukrainistischen Profilierung, zahlreiche Interviewanfragen von regionalen und überregionalen Medien, Stiftungen, Organisationen und Privatpersonen. Zugleich konnte seit Februar dieses Jahres ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierter Forschungsverbund (UNDIPUS) entstehen – ein ukrainistisches Netzwerk aus Universitäten Greifswald, Gießen und Regensburg, das ursprünglich die Auswirkungen des Krieges im Donbas auf die ukrainische Gesellschaft untersuchen sollte. Die Aktualität der Projektidee wurde durch die aktuellen Ereignisse bestätigt – der neue Krieg brachte aber neue und enorme Herausforderungen sowohl für den Verbund als auch für das Fach Ukrainistik mit sich.

Meine Projektpartner*innen PI Dr. Olha Plakhotnik und Dr. Martin Henzelmann (U Greifswald), Dr. Oleksandr Chertenko (U Gießen), Dr. Oleksandr Zabirko und Dr.in Alina Strzempa (U Regensburg) leisten ebenfalls täglich Aufklärungsarbeit über die Hintergründe des Konflikts und die aktuelle Lage in der Ukraine. In diesen Tagen fragen die meisten Menschen zunächst nach dem persönlichen Befinden und der familiären Situation sowie nach dem Schicksal von Kolleg*innen in der Ukraine. Zugleich agieren wir immer wieder als Aktivist*innen, leisten Übersetzungshilfe, bemühen sich um Rettungs- und Hilfsaktionen, beraten deutsche Helfer*innen und Institutionen, zuletzt z. B. bei der Suche nach geeigneten Kandidaten*innen für diverse Förderprogramme für ukrainische Wissenschaftler*innen etc.

Welchen Beitrag kann die ukrainische Kulturwissenschaft leisten, um dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach wissenschaftlicher Einordnung des Krieges gegen die Ukraine und dessen Folgen gerecht zu werden?

Die ukrainische Kulturwissenschaft kann die deutsche Öffentlichkeit zunächst über die allgemeinen Hintergründe des Konflikts aufklären, vor allem über seine Komplexität, was in Zeiten der Eskalation besonders wichtig ist. Damit versucht sie, der von Umberto Eco bereits im Kontext des ersten Irak-Krieges geforderten intellektuellen Funktion gerecht zu werden. Im Gegensatz zum politischen und militärischen Handeln besteht sie im Aufzeigen von Widersprüchen und Ambivalenzen, in der Aufrechterhaltung des kritischen Differenzierungsvermögens in Zeiten der Polarisierung und diskursiver Radikalisierung. Dieser Krieg hatte ein langes Vorspiel in beiden Ländern – eine wachsende Entfremdung zwischen beiden Kulturen. Natürlich impliziert dies keineswegs die gleiche Verantwortung – trotz aller symbolischen Spannungen war es Russland, das einen präzedenzlosen Krieg in der jüngsten Geschichte Europas gegen die Ukraine startete. Seine wachsende Brutalität stellt dennoch eine enorme kulturelle Herausforderung für beide Seiten dar. Menschen, die auf gegenseitige Verständigung und Vertrauen, für Differenzierung und Dialog hingearbeitet haben, sehen sich vor einem Trümmerhaufen und müssen sich beinah der Alternativlosigkeit einer militärischen Konfrontation, Dehumanisierung und gegenseitigen Vernichtung beugen.

Welche Forschungsfrage ist jetzt wichtiger denn je?

Zu den wichtigsten Fragen in dieser tragischen Zeit gehört eine möglichst offene und kritische Aufarbeitung der Kriegsursachen und deren Folgen. Welche Metaphern, Bilder und Diskurse wurden dazu instrumentalisiert, den Krieg anzuzetteln? Welchen Einfluss hat der Krieg auf die Dynamik der ukrainischen Identität und auf das öffentliche Klima? Wo liegen die kulturellen Ressourcen für den künftigen Frieden? 

Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Herr JProf. Dubasevych!

(Das Interview erfolgte schriftlich am 19. April 2022)


 

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