Fluchtforschung: Im Interview Dr. Franck Düvell

Die Hintergründe und Folgen des Ukraine-Kriegs analysieren – welchen Beitrag leisten die Geistes- und Sozialwissenschaften?

Dr. Franck Düvell, Leitender Wissenschaftler und Koordinator des FFVT-Konsortiums (Flucht und Flüchtlingsforschung: Vernetzung und Transfer) am Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien (IMIS) der Universität Osnabrück.

Seit dem russischen Angriff auf die Ukraine ist das öffentliche Interesse an der Fluchtforschung enorm. Welche Fragen werden derzeit an Sie bzw. Ihr Institut herangetragen, Herr Dr. Düvell?

Dr. Franck Düvell

DeZIM

Vor Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine war das Interesse an der Region eher gering. Das begann sich erst mit der irregulären Migration durch Belarus in die EU im Herbst 2021 zu ändern. Wir werden derzeit von internationaler sowie nationaler Presse und Politik zum einen um Einschätzungen zum weiteren Verlauf von Vertreibung und Flucht gefragt: Wie viele kommen, wo gehen sie hin, wie vergleicht sich das mit der Flüchtlingskrise 2015, wie viele kommen nach Deutschland und wie lange werden sie voraussichtlich bleiben? Der zweite Fragenkomplex betrifft die Aufnahme: Wie groß ist die Hilfs- und Aufnahmebereitschaft in Deutschland, wie kann die Umverteilung erfolgen und was sind die besonderen Herausforderungen? In dem Zusammenhang richtet sich das Interesse sowohl auf Frauen und Kinder, 90% der Vertriebenen, aber auch die aufnehmenden sozialen Gruppen, zum Beispiel die sogenannten Russlanddeutschen.

Welchen Beitrag kann die Fluchtforschung leisten, um dem Bedürfnis der Öffentlichkeit nach wissenschaftlicher Einordung des Krieges gegen die Ukraine und dessen Folgen in Bezug auf Migrationsströme gerecht zu werden?

Die Fluchtforschung erstellt Szenarien zum Fluchtverlauf und kann Gesellschaft und Politik auf kommende Ereignisse vorbereiten. Sie vergleicht gegenwärtige mit vorherigen Krisen, weist auf die Lehren früherer Krisen hin und entwickelt politische Empfehlungen für die Gegenwart. Sie ermittelt Muster in den Vertreibungsprozessen. Anhand dessen weist sie auf vernachlässigte oder vulnerable Gruppen, Engpässe, Unterstützungsbedarfe und gute Beispiele sowie Defizite bei der Umsetzung von Politik hin. Außerdem kommuniziert sie die Stimmung sowie aufkommende Spannungen in der Gesellschaft.
 

Vielen Dank für Ihre Einschätzung, Herr Dr. Düvell!

(Das Interview erfolgte schriftlich am 18.3.2022)
 

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