Interview mit Prof. Holger Wormer über Journalismus in Corona-Zeiten
Frei, unabhängig, glaubwürdig – hat sich der Wissenschafts-/Journalismus in Corona-Zeiten verändert? Wie Prof. Holger Wormer, Geschäftsführender Direktor des Instituts für Journalistik der TU Dortmund die Lage einschätzt, erfahren Sie hier.
Bitte beachten Sie, dass hier lediglich die Meinung der Interviewten wiedergegeben wird.
Prof. Holger Wormer, warum ist Journalismus bzw. Wissenschaftsjournalismus in Corona-Zeiten systemrelevant?
Guter Journalismus ist immer systemrelevant, in Corona-Zeiten wird das nur besonders deutlich. Journalismus, der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft, der jeden einzelnen von uns mit zuverlässigen Informationen versorgt, ist Teil der Infrastruktur einer Demokratie. Wenn einige Straßen in unserer Verkehrsinfrastruktur Schlaglöcher haben, ist das ärgerlich; wenn unsere Informationsinfrastruktur löchrig wird, gefährdet das – in Zeiten einer Pandemie – Menschenleben, in anderen Zeiten gefährdet es die demokratische Meinungsbildung. Lange Zeit dachten offenbar viele, die Social Media, als eine Art totale Demokratisierung der Medien, könnten das ausgleichen. Das scheint aber nicht zu funktionieren, denn in der Social Media-Welt sind einfache Botschaften mehr gefragt und haben höhere Reichweiten als geprüfte, aber oft komplexe Informationen. Und nicht umsonst verlassen wir uns auch in anderen Bereichen, etwa in der Justiz, auf eine professionelle Struktur; die totale Demokratisierung des Rechtswesens würde wohl schnell in einer Lynchjustiz enden, in der jene entscheiden, die am lautesten sind.
Was kann man tun, damit trotz Corona-Krise der unabhängige Journalismus — und damit die Infrastruktur einer Demokratie — überlebt?
Mindestens drei Dinge: 1. Förderung von Qualitätsjournalismus 2. Regulierung der Plattform-Monopole 3. Medienbildung der Nutzer. Förderung von Qualitätsjournalismus bedeutet aber Förderung der Arbeit von Journalistinnen und Journalisten, nicht Subventionierung von Verlagen, wie es derzeit geschieht. Guter Journalismus kostet Geld; viele hochqualifizierte freie Journalisten arbeiten heute für Tagessätze, die nicht weit weg sind vom Mindestlohn. Man muss daher weniger Zeitungszusteller, sondern die eigentliche journalistische Recherchearbeit auch aus Steuermitteln fördern. Und man kann das unter Wahrung der Unabhängigkeit tun, etwa über eine Bundesstiftung. Bei der Kultur- und Filmförderung findet man das ganz normal.
Oder nehmen wir die Wissenschaftsförderung: Die deutsche Geschichte führte hier von der „Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft“ zur heutigen Deutschen Forschungsgemeinschaft, die – bei allen Schwächen – zu einem Erfolgsmodell politisch unabhängiger Forschungsförderung gelten kann. 100 Jahre später müssen wir nun über eine „Notgemeinschaft des Deutschen Journalismus“ vielleicht zu einer Art „Deutschen Journalismusgemeinschaft“ zur unabhängigen Förderung von Journalismus in einer Art Selbstverwaltung kommen.
Zweitens aber müssen wir die großen Plattformen endlich wirksam regulieren. Früher wurde penibel geprüft, ob eine Mini-Tageszeitung aufgekauft oder unter welchen Voraussetzungen ein privater Radio- oder Fernsehsender eine Sendelizenz erhalten darf. Dann aber schauen wir zu, wie jeder Desinformationskanal mit theoretisch unbeschränkter Reichweite fast unreguliert das Internet verschmutzen darf. Und wir lassen das größte Medienmonopol in der Geschichte der Bundesrepublik, nämlich den Facebook-WhatsApp-Instagram-Komplex, mit seinen Algorithmen darüber entscheiden, welche Informationen wir bevorzugt erhalten. Zum Glück ist da bei den Kartellwächtern inzwischen einiges in Bewegung geraten, in weiten Teilen der Bevölkerung bis hinein in die Schulen aber hat man sich vor diesen Monopolen offenbar längst ergeben. Um hier mehr Sensibilität zu schaffen und weil sowohl Förderung als auch Regulierung ihre Grenzen haben, müssen wir drittens das Verständnis von Medien stärken.
Auch die journalistischen Medien haben lange Zeit zu wenig erklärt, was guter Journalismus eigentlich tun muss, wie er sich von interessengeleiteter PR unterscheidet und warum das wichtig ist. Und wir müssen eine, wie ich es nenne, „Weiterleitungsethik“ für Social Media etablieren: So wie das Betriebssystem eines Computers vor dem Löschen einer Nachricht nachfragt, ob ich eine Datei wirklich löschen möchte, müssten die Betriebssysteme aller mobilen Endgeräte eigentlich fragen, ob man wirklich sicher ist, dass man mit dem Teilen einer Nachricht nicht Hassrede oder Desinformation verbreitet. Und in die Köpfe gehört so eine moralische Abfrage sowieso.
Weltweit wird über die Corona-Krise berichtet. Wie ist es um die Pressefreiheit in anderen Ländern bestellt, zum Beispiel in China?
Eine detaillierte wissenschaftliche Untersuchung über die Berichterstattung zur Corona-Krise haben wir noch nicht gemacht, aber wir verfolgen verschiedenste Analysen dazu. Zur Lage der Pressefreiheit kann man nur sagen: zunehmend katastrophal. Dazu muss man gar nicht allein auf China als besonders krasses Beispiel zeigen; auch in Europa werden journalistische Medien durch staatliche, oft populistische Eingriffe in vielen Ländern eingeschränkt. Das geht aber eben umso leichter, wenn der Journalismus durch wegbrechende Finanzierungsmodelle bereits geschwächt ist und auf anderen Kanälen ungebremst Desinformation betrieben werden kann. Insofern gehört es zu einer der vornehmsten Aufgaben einer noch funktionierenden Demokratie, Vorkehrungen zu treffen, damit die Medien auch bei sich irgendwann wandelnden, zweifelhaften Machtverhältnissen ihre Prüf-, Kritik- und Schiedsrichterfunktion weiter gut erfüllen können. Das hat nichts mit der Etablierung von „Staatsmedien“ zu tun, wie gerne geplappert wird, sondern im Gegenteil mit einem Vorsorgeprinzip, dass es unter fragwürdigen politischen Machtverhältnissen eben gerade nicht zu solchen Staatsmedien kommt.
Das Kleine Fach Journalistik
Die Journalistik, die zur geisteswissenschaftlichen Fachgruppe der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften zählt, besitzt gegenwärtig in Deutschland sieben Universitätsstandorte.
Von Wissenschaftsjournalismus über Krisen- und Kriegsberichterstattung bis hin zu angewandter Medienforschung - am Institut für Journalistik der TU Dortmund werden seit 40 Jahren Journalistinnen und Journalisten ausgebildet. Dort ist auch das Erich-Brost-Institut für Internationalen Journalismus mit dem European Journalism Observatory (EJO) angesiedelt.
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