Die Corona-Pandemie ist herausfordernd und wirft ethische Konflikte auf. Ende März 2020 hat der Deutsche Ethikrat zu den aktuellen gesellschaftspolitischen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie Stellung bezogen. Prof. Dr. Alena Buyx, Direktorin des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München (TUM) hat als Mitglied des Deutschen Ethikrats daran mitgewirkt.
Bitte beachten Sie, dass hier lediglich die Meinung der Interviewten wiedergegeben wird.
Frau Prof. Buyx, welche Aspekte der Corona-Pandemie sind aus Ihrer Sicht relevant?
Eines vorweg: In dieser Situation sind viele Dinge gleichzeitig wichtig – und das müssen wir aushalten. Alles, was wir derzeit tun, hat das Ziel, allen Patentinnen und Patienten dringend indizierte und gewollte Behandlungen zukommen zu lassen. Wir müssen erstens vermeiden, dass es zu Verteilungsfragen intensivmedizinischer Ressourcen kommt, etwa zur harten Triage. Zweitens immer wieder abwägen, wie verhältnismäßig die Maßnahmen sind. Und drittens überlegen, wann und wie eine geordnete Rückkehr zu einem einigermaßen "normalen" Leben möglich ist, um die ökonomischen, kulturellen, politischen und psychosozialen Schäden möglichst gering zu halten. Bei all dem müssen wir uns über eines klar sein: Wir sind dabei, massive Solidäritäts-Ressourcen in der Gesellschaft zu mobilisieren. Es ist beglückend zu sehen, dass sie da sind, aber sie sind nicht unendlich! Deshalb müssen wir immer wieder die Frage stellen, wie verhältnismäßig Maßnahmen sind.
Wie können Sie mit Ihrem Fach- oder Forschungsbereich zu einem besseren Verständnis und Umgang mit der Pandemie beitragen?
Seit 15 Jahren arbeite ich als Medizinethikerin und bin Mitglied in verschiedenen Gremien, etwa dem Deutschen Ethikrat, war Teil der Schreibgruppe der aktuellen Ad-hoc-Empfehlung und berate verschiedene Forschungskonsortien. Es gibt eine Vielzahl sehr praktischer Dinge, die die Medizinethik zur jetzigen Situation beitragen kann, weil sie immer schon die Kombination aus medizinischer Fach- und Praxiskenntnisse und einer normativen Expertise kennt. Die Medizinethik befasst sich seit Jahren konkret mit den Fragen der Rationierung, die jetzt in die Praxis drängen. Ein weiterer Aspekt ist die Forschungsethik: Hier geht es etwa darum, wie schnell Medikamente oder Impfstoffe auf den Markt kommen dürfen. Und nicht zuletzt die ethische Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen von Public Health, also die Frage, wann sind welche Maßnahmen verhältnismäßig. Gerade jetzt in Pandemie-Zeiten sind all diese Expertisen gefragt – und vorhanden.
Gibt es Lösungsansätze, die stärker diskutiert werden sollten?
Ich würde mir noch mehr Gedanken zu Öffnungsszenarien wünschen. Es ist wichtig, dass wir in die Zukunft denken. Wir müssen überlegen, wie es zu einer sozialen Re-Normalisierung kommt, zum Beispiel, welche Schutzkonzepte für Risikogruppen möglich sind, wie wir die Testkapazitäten weiter ausbauen könnten und wie wir eventuell mit einer Corona-Warn-App umgehen könnten. Auch eine transparentere Kommunikation zu einfachen Barrieremasken wäre sinnvoll, vor allem deshalb, weil sich eventuell mit einer so risikolosen Maßnahme wie einer Barrieremaske tiefereingreifende Grundrechtseinschränkungen zurücknehmen lassen könnten.
Herzlichen Dank für das interessante Interview!
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Technischen Universität München
Das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin (IHEM) der Technischen Universität München (TUM) ist eine interdisziplinäre Forschungseinrichtung an der Schnittstelle zwischen Medizin, Technik und Sozialwissenschaften unter der Leitung von Prof. Dr. med. Alena Buyx. Das Institut beschäftigt sich mit den ethischen, historischen und kulturellen Dimensionen der Medizin. Im Mittelpunkt stehen Fragen der verantwortlichen Entwicklung und ethischen Integration neuer biomedizinischer Technologien in Forschung und Klinik, wie z. B. Biomarker, Anwendungen in der verkörperten KI/Robotik oder Neurostimulation bei Kindern. Weitere Schwerpunkte sind neue Konzepte der Solidarität in der Medizin sowie Fragen der Neuroethik, der Forschungsethik und der Ethik des öffentlichen Gesundheitswesens. IHEM verfolgt einen "embedded ethics"-Ansatz zur Entwicklung und Mitgestaltung neuartiger biomedizinischer Innovationen, bei dem Kliniker, Ingenieure, Programmierer, Ethiker und Sozialwissenschaftler Seite an Seite arbeiten, um ethische und soziale Überlegungen bereits früh in den Entwicklungsprozess einzubetten.
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