Was steht denn da? Inschriften entdecken und verstehen

Ob flüchtige Kritzelei oder kunstvoll in Stein gehauen – Inschriften sind eine einzigartige historische Quelle. Das Projekt „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ zielt darauf ab, die Inschriftenüberlieferung in Deutschland und Österreich sowie Südtirol für Forschung und Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Geöffnetes Buch mit den Anfangsworten des Johannes-Evangeliums IN PRINCIPIO ERAT VERBVM in den Händen einer Steinfigur des Evangelisten (um 1260), Dom, Meißen. Die gemalte Doppelseite, die an Evangelien-Anfänge in mittelalterlichen Handschriften erinnert, weist mehrere Farbfassungen auf. Während die goldene Schmuckinitiale noch zur Herstellungszeit der Figur gehört, entstanden die schwarzen Majuskelbuchstaben erst um 1500 durch Übermalen der ursprünglichen Inschrift.

Geöffnetes Buch mit den Anfangsworten des Johannes-Evangeliums IN PRINCIPIO ERAT VERBVM in den Händen einer Steinfigur des Evangelisten (um 1260), Dom, Meißen. Die gemalte Doppelseite, die an Evangelien-Anfänge in mittelalterlichen Handschriften erinnert, weist mehrere Farbfassungen auf. Während die goldene Schmuckinitiale noch zur Herstellungszeit der Figur gehört, entstanden die schwarzen Majuskelbuchstaben erst um 1500 durch Übermalen der ursprünglichen Inschrift.

SAW Leipzig, Arbeitsstelle Inschriften Dresden (Foto: Cornelia Neustadt)

Mit zehn Forschungsstellen von sechs Mitgliedsakademien und der Österreichischen Akademie ist das Inschriftenprojekt das größte interakademische Vorhaben im Akademienprogramm. Gesammelt, ediert, kommentiert und übersetzt werden erhaltene und abschriftlich überlieferte Inschriftentexte, die im Zeitraum vom frühen Mittelalter bis 1650 entstanden sind. Publiziert werden sie in der Reihe „Die Deutschen Inschriften“ (DI). Über hundert Bände sind mittlerweile erschienen! Davon sind bereits rund 60 Bände digitalisiert und in einer durch zahlreiche Abbildungen erweiterten Fassung über das Portal „Deutsche Inschriften Online“ Open Access verfügbar; weitere sollen folgen.

Hoher Quellenwert der Inschriften

Inschriften sind eine hochrangige historische Quelle mit einer großen Vielfalt an Erscheinungsformen und Inhalten, die in engem Bezug zum jeweiligen Träger und der Entstehungssituation zu entschlüsseln sind. „Annähernd jeder materielle Gegenstand kann zum Inschriftenträger werden. Annähernd jeder Text kann zur Inschrift werden“, sagt Dr. Helga Giersiepen, die seit 1986 als wissenschaftliche Mitarbeiterin des Inschriften-Projekts tätig ist. Sie erfasst und ediert im Auftrag der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste zurzeit die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Inschriften in Köln.

Aber was genau hat es mit den Inschriften auf sich? Was steht dort in oft schwer lesbarer Schrift, von wem stammen die Inschriften, was haben sie uns mitzuteilen und warum stehen sie gerade an diesem Platz? Darauf geben die Editionsbände Antworten, in denen die Inschriften der jeweiligen Region oder Stadt systematisch erfasst sind. Die reich bebilderten Publikationen enthalten einen chronologisch angeordneten Katalog, in dem die Träger beschrieben und die Inschriftentexte ediert und übersetzt werden. Im Kommentar findet man Angaben zur Schrift, philologischen Besonderheiten, zur Entstehung, zu beteiligten Personen, zum Inhalt der Inschrift und zu weiteren Fragen.

Grabplatten im Kreuzgang des Regensburger Domes, wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit üblich, im Boden eingelassen.

Grabplatten im Kreuzgang des Regensburger Domes, wie im Mittelalter und in der frühen Neuzeit üblich, im Boden eingelassen.  

BAdW München, Inschriftenkommission (Foto: Julia Knorr)

Grabplatten im Radhaus einer ehemaligen Mühle in Ratingen, Kr. Mettmann, als Baumaterial wiederverwendet.

Grabplatten im Radhaus einer ehemaligen Mühle in Ratingen, Kr. Mettmann, als Baumaterial wiederverwendet. 

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Foto: Sonja Hermann)

Glockeninschriften in Kirchtürmen zu dokumentieren erfordert Schwindelfreiheit.

Glockeninschriften in Kirchtürmen zu dokumentieren erfordert Schwindelfreiheit.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Foto: Gerda Hellmer)

Frühchristlicher Grabstein für einen Diakon namens Deodatus. Schriftmerkmale, Sprachform und Ziermotive sprechen für eine Datierung in das frühe 7. Jahrhundert (Bodenfund nahe der Gemeinde Kobern-Gondorf, Lkr. Mayen-Koblenz, heute LVR-LandesMuseum Bonn).

Frühchristlicher Grabstein für einen Diakon namens Deodatus. Schriftmerkmale, Sprachform und Ziermotive sprechen für eine Datierung in das frühe 7. Jahrhundert (Bodenfund nahe der Gemeinde Kobern-Gondorf, Lkr. Mayen-Koblenz, heute LVR-LandesMuseum Bonn). 

Akademie der Wissenschaften und der Literatur Mainz (Foto: Christian Feist)

Männliches Brustbild mit verblasster Umschrift in einem Medaillon (15. Jh.), das zu den Resten von Wandmalereien in den Klausurgebäuden des St. Johannis Franziskanerklosters in Stralsund gehört. Der schlechte Erhaltungszustand der mehrschichtig sich überlagernden Wandmalereien ermöglicht keine inhaltliche Bestimmung der fragmentarischen Bilddarstellung und Inschriftenreste.

Männliches Brustbild mit verblasster Umschrift in einem Medaillon (15. Jh.), das zu den Resten von Wandmalereien in den Klausurgebäuden des St. Johannis Franziskanerklosters in Stralsund gehört. Der schlechte Erhaltungszustand der mehrschichtig sich überlagernden Wandmalereien ermöglicht keine inhaltliche Bestimmung der fragmentarischen Bilddarstellung und Inschriftenreste.

ADW Göttingen, Forschungsstelle Inschriften Greifswald (Foto: Jürgen Herold)

Silbervergoldete Deckplatte des sog. Katharinenreliquiars (1230/1240) im Quedlinburger Domschatz mit einem getriebenen Flachrelief der Kreuzigung Christi. Zahlreiche gravierte Inschriften geben die Namen und die Rede der dargestellten Personen wieder.

Silbervergoldete Deckplatte des sog. Katharinenreliquiars (1230/1240) im Quedlinburger Domschatz mit einem getriebenen Flachrelief der Kreuzigung Christi. Zahlreiche gravierte Inschriften geben die Namen und die Rede der dargestellten Personen wieder. 

Elmar Egner M.A., Domschatz Quedlinburg 

Geöffnetes Buch mit den Anfangsworten des Johannes-Evangeliums IN PRINCIPIO ERAT VERBVM in den Händen einer Steinfigur des Evangelisten (um 1260), Dom, Meißen. Die gemalte Doppelseite, die an Evangelien-Anfänge in mittelalterlichen Handschriften erinnert, weist mehrere Farbfassungen auf. Während die goldene Schmuckinitiale noch zur Herstellungszeit der Figur gehört, entstanden die schwarzen Majuskelbuchstaben erst um 1500 durch Übermalen der ursprünglichen Inschrift.

Geöffnetes Buch mit den Anfangsworten des Johannes-Evangeliums IN PRINCIPIO ERAT VERBVM in den Händen einer Steinfigur des Evangelisten (um 1260), Dom, Meißen. Die gemalte Doppelseite, die an Evangelien-Anfänge in mittelalterlichen Handschriften erinnert, weist mehrere Farbfassungen auf. Während die goldene Schmuckinitiale noch zur Herstellungszeit der Figur gehört, entstanden die schwarzen Majuskelbuchstaben erst um 1500 durch Übermalen der ursprünglichen Inschrift.

SAW Leipzig, Arbeitsstelle Inschriften Dresden (Foto: Cornelia Neustadt)

Propheten Zacharias mit Umschrift in Medaillon, Glasfenster (um 1300), St. Dionysius, Esslingen. Im Wort MISERERE ist der Buchstabe S verloren und durch ein ornamentales Glasfragment ersetzt.

Prophet Zacharias mit Umschrift in Medaillon, Glasfenster (um 1300), St. Dionysius, Esslingen. Im Wort MISERERE ist der Buchstabe S verloren und durch ein ornamentales Glasfragment ersetzt.

Foto: Andrea Gössel, CVMA Freiburg, CC BY-NC 4.0Permalink: https://corpusvitrearum.de/id/F454

Brüstungstafeln am ehem. Haus der Schuhmachergilde (1540?) in Alfeld, Lkr. Hildesheim. Sinnsprüche, die über das Bauen reflektieren oder Gotteslob enthalten, sind ein typischer Bestandteil der Fassadengestaltung prachtvoller Fachwerkhäuser.

Brüstungstafeln am ehem. Haus der Schuhmachergilde (1540?) in Alfeld, Lkr. Hildesheim. Sinnsprüche, die über das Bauen reflektieren oder Gotteslob enthalten, sind ein typischer Bestandteil der Fassadengestaltung prachtvoller Fachwerkhäuser.

ADW Göttingen, Inschriftenkommission (Foto: Christine Wulf)

Stifterbildnis, Hochaltar-Antependium (1521), St. Viktor, Xanten. Die figürlichen Darstellungen, Wappen und Inschriften wurden auf neuen Trägerstoff appliziert und auf diese Weise bewahrt. Bei Textilien ist dies eine häufig vorkommende Form der Überlieferung.

Stifterbildnis, Hochaltar-Antependium (1521), St. Viktor, Xanten. Die figürlichen Darstellungen, Wappen und Inschriften wurden auf neuen Trägerstoff appliziert und auf diese Weise bewahrt. Bei Textilien ist dies eine häufig vorkommende Form der Überlieferung.

AWK NRW, Arbeitsstelle Inschriften (Foto: Kristine Weber)

Porträt des Lüneburger Propstes Johannes Koller (1536 o. später), Tafelgemälde, Museum Lüneburg. Der abgebildete Ausschnitt zeigt den 1536 Verstorbenen im Ornat, durch Familienwappen und Sterbevermerk identifiziert, mit Büchern und einem Prunkpokal mit augenfälliger Beschriftung. Groß in Szene gesetzt ist der „Münzpokal“, den der letzte katholische Propst Lüneburgs kurz vor seinem Tod für das Ratssilber der Stadt stiftete (Berlin, Kunstgewerbemuseum).

Porträt des Lüneburger Propstes Johannes Koller (1536 o. später), Tafelgemälde, Museum Lüneburg. Der abgebildete Ausschnitt zeigt den 1536 Verstorbenen im Ornat, durch Familienwappen und Sterbevermerk identifiziert, mit Büchern und einem Prunkpokal mit augenfälliger Beschriftung. Groß in Szene gesetzt ist der „Münzpokal“, den der letzte katholische Propst Lüneburgs kurz vor seinem Tod für das Ratssilber der Stadt stiftete (Berlin, Kunstgewerbemuseum).

ADW Göttingen, Inschriftenkommission (Foto: Sabine Wehking)

Authentische historische Zeugnisse

Inschriften sind Teil der Alltagskultur ihrer Zeit. „Ganz gleich, ob in Stein gemeißelt, in Metall gegossen, in Leder geprägt oder auf Glas oder Textilien gemalt – Inschriften finden sich fast überall, auf fast jedem Material. Mit Inschriften wollten unsere Vorfahren Bedeutsames festhalten“, sagt Giersiepen. „Sie legen Zeugnis ab vom Leben der Menschen im Mittelalter und der Frühen Neuzeit und das jenseits dessen, was uns Urkunden und Chroniken berichten“.

Man denke nur an Hausinschriften, die den Bewohnern und Bewohnerinnen Glück verheißen, oder Grabinschriften, die den christlichen Wunsch auf ein ewiges Leben in Frieden zum Ausdruck bringen. Inschriften berichten beispielsweise über Baubeginn und Baufortschritt von Gebäuden, über Zuwendungen von Stiftern und Stifterinnen und erinnern an die Taten und Leistungen von Verstorbenen, die wir sonst in keiner anderen historischen Quelle greifen können. Damit ergänzen und berichtigen Inschriften die Kenntnisse über die damalige Lebenswelt und helfen dabei, Geschichte zu rekonstruieren und lebendig zu halten.

Ab dem 14. Jahrhundert finden sich erst vereinzelt, dann immer häufiger Inschriften in deutscher Sprache. Dabei sind die Texte oft in der Sprachform (Nieder- oder Hochdeutsch) bzw. dem Dialekt abgefasst, die bzw. der damals in der betreffenden Region gesprochen wurde. Inschriften dokumentieren also regionale Unterschiede und die historische Entwicklung der Sprache.

Als authentische Zeugnisse vergangener Zeiten sind Inschriften nicht nur für historische, sondern auch für theologische, volkskundliche, kunsthistorische und philologische Fragestellungen eine unverzichtbare Quelle. Daher dient die Arbeit der Epigrafik – also die Inschriftenkunde – Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern verschiedener Fachrichtungen als Basis für weitere Forschungen. Zugleich wenden sich immer mehr interessierte Bürger und Bürgerinnen an die Arbeitsstellen oder an das Online-Portal, um mehr über Inschriften aus ihrer Heimatregion zu erfahren und sie zu verstehen.

Bedrohung des Kulturgutes durch Umwelteinflüsse

Doch diese wichtigen Spuren sind vergänglich: Sie verwittern, verfallen, werden durch Kriege oder Umbauten zerstört oder schlicht falsch aufbewahrt. Deshalb führen einige Forschungsstellen seit 1989 ergänzend zur wissenschaftlichen Edition eine möglichst vollständige Fotodokumentation der Inschriftendenkmäler durch. Damit lassen sich die Inschriften zumindest in ihrem derzeitigen Zustand festhalten und stehen in digitaler Form der künftigen Erschließung und epigrafischen Aufbereitung zur Verfügung. Auch damit wird ein wichtiger Beitrag zur Sicherung unseres Kulturguts geleistet. Man darf auf zukünftige Publikationen gespannt sein!

Projektinfo „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“

Das Projekt „Die Deutschen Inschriften des Mittelalters und der Frühen Neuzeit“ ist Teil des von Bund und Ländern geförderten Akademienprogramms, das die Union der deutschen Akademien der Wissenschaften koordiniert. Neben der wissenschaftlichen Edition arbeiten seit 2009 Forschende im Projekt „Deutsche Inschriften Online“ (DIO) daran, die Inschriftenbände zu digitalisieren und online zugänglich zu machen. Das DIO-Projekt wird von der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen und der Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz umgesetzt. Langfristiges Ziel des Projektes ist die Digitalisierung und Online-Bereitstellung der Inschriftenbände der gesamten DI-Reihe (mehr dazu unter http://www.inschriften.net/projekt.html#c564).

Digitale Akademie in Mainz

Mit der Digitalen Akademie hat die Akademie der Wissenschaften und der Literatur | Mainz seit 2009 eine anerkannte Forschungsabteilung für Digital Humanities etabliert, in der nicht nur die Digitalisierung, sondern insbesondere die darauf aufbauenden digitalen Forschungsmethoden und -technologien gebündelt werden. Mehr dazu unter: https://www.adwmainz.de/digitalitaet/digitale-akademie.html und auf Twitter https://twitter.com/digicademy