Über die Macht und Kraft von Bildern – zehn Jahre Aby Warburg-Forschung im BMBF-Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge“
Von der Kunst über die Unterhaltungsindustrie bis in die politische Sphäre – Bilder betreffen sämtliche Aspekte des Lebens. Wie sie sich auf alle Bereiche des Wissens und der Forschung auswirken, hat der BMBF-Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge – Warburg’s Legacy and the Future of Iconology“ zehn Jahre lang erforscht. Was bleibt?
Seit 2013 arbeiten fünf bedeutende kunst- und kulturhistorische Institute in vier europäischen Ländern im BMBF-Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge“ zusammen: Das Projekt wird in Zusammenarbeit mit der Max Weber Stiftung durchgeführt und ist angesiedelt am Warburg Institute in London, an der Humboldt-Universität zu Berlin, dem Kunsthistorischen Institut in Florenz und dem Warburg-Haus in Hamburg; in Kooperation mit dem Kunsthistorischen Seminar der Universität Basel. Angelehnt an Aby Warburgs Konzept der „Bildwanderung“ erforscht der internationale Verbund die Formation, Transformation und Interaktion von Kulturräumen im Medium des Bildes.
„Weltverkehr der Bilder“
Die Macht der Bilder hat bereits den Kunsthistoriker und Kulturwissenschaftler Aby Warburg (1866-1929) fasziniert. Er befasste sich sowohl mit Werken der sogenannten „Hochkunst“ als auch mit der populären Bildkultur, etwa in der Werbung, in der Zeitungsfotografie oder auch in Form von Briefmarken. Aby Warburg hat eine „Arena der Wissenschaften“ erschaffen, ein Zentrum der interdisziplinären Forschung und des weltweiten Austauschs der Geisteswissenschaften. 1903 begründete er die Kulturwissenschaftliche Bibliothek Warburg in Hamburg, die heute in London beheimatet ist (siehe hier). Warburg hat das Weiterleben der Antike in der europäischen Kultur sichtbar gemacht und damit unter anderem die Ikonologie als eigenständige Disziplin der Kunstwissenschaft etabliert.
„Von einem ‚Weltverkehr der Bilder‘ sprach Warburg bereits um 1900 in seinen Untersuchungen zum künstlerischen Austausch in der Renaissance“, sagt Dr. Steffen Haug , Projekt-Koordinator am Warburg-Institute und hebt hervor: „Aktuell trifft diese Bezeichnung umso mehr zu. Alle Bilder – Kunst, Information, Unterhaltung, Propaganda – bewegen sich in vielfacher Geschwindigkeit und Masse. Die Beschäftigung mit ihren Bedingungen und Entwicklungen ist immer wichtiger. Unsere Forschung zur Geschichte ihrer Migration trägt zu einem neuen, umfassenderes Verständnis der Ikonographie heute bei.“
Zehn Jahre Verbundforschung
Ausgehend von Warburgs Metapher der „Bilderfahrzeuge“ erforschen seit 2013 Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen im internationalen Forschungsverbund, wie Medien die verschiedenen Kulturräume in ihren zeitlichen, räumlichen und in ihren bedeutungs- bzw. ideen-bezogenen Dimensionen „durchfahren“, genauer gesagt, wie Bilder, Formen und Ideen durch die verschiedenen Kulturen migrieren und sie somit verbinden. Damit werden Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im europäischen Kulturraum verflochten – und weit darüber hinaus. Die Forschung erstreckt sich von der Warburg-Forschung über „Politische Ikonologie – Bilder als Akteure des Politischen“, „Globale Bilderfahrzeuge und mobiles Gedächtnis“ bis hin zu „Kunst und Nation. Bilderfahrzeuge und Staatskultur“ (siehe Forschungsschwerpunkte).
Beispielhaftes Potenzial
Zwei Beispiele zeigen stellvertretend die Vielfalt der Forschungsthemen: In letztgenanntem Schwerpunkt hat C. Oliver O’Donnell die Bedeutung der Bilder für die philosophische Tradition des Empirismus im Britisch-Amerikanischen Raum aufgezeigt. Sein Buchprojekt belegt, wie visuelle Formen – von Zeichnungen über Gemälden bis zu Karikaturen – die Gedanken geprägt, aber auch in ihrer Verbreitung mitgewirkt haben. So steht ein Album mit ethnographischen Aquarellen, das John Locke anfertigen ließ, in direktem Zusammenhang mit dessen Erkenntnistheorie und politischer Philosophie (mehr hier).
Die Wirkung und Etablierung von Symbolen über die Zeiten hinweg hat Anita Hosseini (Globale Bilderfahrzeuge) erforscht. Ausgehend von der traditionellen Bedeutung der Rose in der persischen Kultur sowie ihrer Aneignung während der ersten Kreuzzüge und ihrer wirtschaftlichen Nutzung ab dem 17. Jahrhundert, hat sie Positionen der Gegenwartskunst analysiert, die basierend auf der Geschichte der imperialen Botanik Ästhetik und Politik in Relation zueinander setzen. [Bildunterschrift: Pierre-Joseph Redouté (1759–1840), Rosa gallica aurelianensis (Rosa 'La Duchesse d'Orléans'), in, Les Roses von Pierre-Joseph Redouté, veröffentlicht in Paris in 1817-24, Seite 431 (online hier)
Weitreichende Wirkung
Um seine Erkenntnisse zu verbreiten, hat der Forschungsverbund Bilderfahrzeuge etliche Publikationen veröffentlicht und zahlreiche Events organisiert, darunter eine regelmäßige Vortragsreihe am Warburg Institute, jährliche Konferenzen und vielerorts Workshops, und hat mehrere Ausstellungen kuratiert. Nach zehn Jahren internationaler Forschung findet am 28. Juni 2023 in London die öffentliche Abschlussveranstaltung statt (siehe hier).
„Das Verbundprojekt „Bilderfahrzeuge“ hat dem Rechnung zu tragen versucht, was man die „Macht“ der Bilder nennt, das heißt, deren Einsatz und nicht zu unterschätzende Wirkung im sozialen Raum“, betont Verbundsprecher Prof. Dr. Andreas Beyer und fasst zusammen: „Zugleich aber hat es die „Kraft“ der Bilder gewürdigt, deren Eigengesetzlichkeit und Dynamik, die als autonome Formensprache Erkenntnis und unabhängige Gestaltungspotentiale entfalten – über Zeiten und Räume hinweg und nicht zuletzt mit subversiver Energie.“
Autorin: Katrin Schlotter
Das BMBF-Verbundprojekt „Bilderfahrzeuge – Warburg’s Legacy and the Future of Iconology“
Fünf bedeutende kunst- und kulturhistorische Institute in vier europäischen Ländern arbeiten seit 2013 im internationalen Forschungsverbund „Bilderfahrzeuge – Warburg’s Legacy and the Future of Iconology“ zusammen, gefördert vom BMBF bis 2023. Das Verbundprojekt mit Hauptsitz am Warburg Institute in London wird getragen von der Max Weber Stiftung (MWS), der Universität Hamburg/Warburg-Haus, der Humboldt-Universität zu Berlin sowie der Max-Planck-Gesellschaft, in Zusammenarbeit mit der Universität Basel. Jede Institution wird durch einen der fünf Professoren vertreten, die auch die Leitung des Forschungsprojekts übernehmen: Andreas Beyer (Basel/Paris), der auch als Sprecher des Forschungszentrums fungiert, Horst Bredekamp (Berlin), Uwe Fleckner (Hamburg), Bill Sherman (London) und Gerhard Wolf (Florenz).
Die „Bilderfahrzeuge“ gingen aus Gesprächen mit der damaligen Ministerin für Wissenschaft und Forschung, Annette Schavan, hervor. Sie betrafen Möglichkeiten der internationalen Zusammenarbeit sowie Gegenstandsbereiche und Energien, die den Befund des Clash of civilisations (Huntington) konterkarieren könnten. Wir kamen schnell auf Aby Warburg und dessen Konzept, dass Bilder beim Durchwandern unterschiedlicher Kulturen als „Bilderfahrzeuge“ in eine Art aktiver Resonanz mit der neuen Umwelt eintreten würden. Gemeinsam mit Peter Mack, dem damaligen Direktor des Warburg Institute in London, gelang es, die „Bilderfahrzeuge“ ins Leben zu rufen. Ziel war es auch, bei einem drohenden Brexit die Kontakte mit dem Warburg Institut zu halten und nach Möglichkeit zu stärken. In beiden Fördererperioden wurde danach gefragt, auf welche Weise Bildwanderschaften die Fähigkeiten entfalteten, Hierarchien zu unterlaufen, feindliche Regionen miteinander zu verknüpfen und durch schöpferische Aneignungsprozesse neue, hybride Konstellationen zu erlauben. Diskussionen darüber, ob der heutige Kolossalrahmen des Postkolonialismus diesem Konzept nicht widerspricht, waren in der zweiten Forschungsphase unvermeidlich. Vielleicht hätte Warburg auch diese Volte als eine Sonderform der invertiven Anlage der „Bilderfahrzeuge" gedeutet.
Das Hamburger Teilprojekt des Forschungsverbundes „Bilderfahrzeuge“ hat sich in den vergangenen Jahren mit den politischen Folgen weltweiten Kunsttransfers beschäftigt. Die hier untersuchten „automobilen“ Medien, die Aby Warburg im Blick hatte – insbesondere Druckgrafik und Textilien, aber auch Naturalien und ihr tatsächlicher wie bildlicher Einsatz – haben sich als nachhaltige Akteure des Politischen erwiesen: Grundsätzlich bleibt die Erkenntnis, dass Kunstwerke und sonstige Bilder im politischen Diskurs oft nicht als passive Verfügungsmasse auftreten, sondern tatsächlich aktiv in historische Vorgänge eingreifen.
The „Bilderfahrzeuge“ project has done much more than teach us new things about Aby Warburg. It has given us new tools for understanding the power of pictures in our image-saturated age. It has created a new vocabulary for academic disciplines and public discourse. And most valuable of all, it has opened up new channels of communication between Germany, England and the wider world that will serve us well for decades to come.
My participation in the „Bilderfahrzeuge“ project, while short, was essential for the development of my research in Turkish art historiography. While in the group, I discovered previously neglected connections between the Turkish and German art historical traditions. Crucial among these is the impact of Aby Warburg’s method on the historical assessments of Ottoman cultural heritage in the early Turkish Republic by the Turkish art historian Mazhar Şevket İpşiroğlu – contributing to the Bilderfahrzeuge group’s mission towards a substantive expansion of cultural history.
Das Projekt „Bilderfahrzeuge“ öffnete sich nicht nur in Richtung einer globalen Kunstgeschichte, sondern auch den nicht menschlichen Akteuren, sprich Tieren wie Falken. Diese buchstäblich autonom fahrenden Bilderfahrzeuge haben oft eine subversive Agenz und fordern bestimmte historische Narrative heraus, zumal die Falknerei von Beginn an eine globale Kulturtechnik im Zeichen der politischen Repräsentation war. Der materielle Träger, die Tiere selbst oder deren bildlichen Manifestationen, nehmen dabei einen genauso wichtigen Platz ein wie deren politischen Ikonologie.
Dr. Sanja Savkic Sebek, Kunsthistorisches Institut in Florenz – Max-Planck-Institut und Humboldt-Universität zu Berlin
In my research on Mesoamerican artistic practices, the concept of ‚image vehicles‘ has been productive as it merges visual and material dimensions, aspects commonly not separated in Amerindian creations. Furthermore, in ritual processes artefacts mediate between human and nonhuman spheres. Such contexts are not understandable only from isolated and finished (art)works (e.g., museum objects). Our discussions helped to theorise my findings and in turn‚ transported‘ the term „Bilderfahrzeuge“ to new categories of objects.
Prof. Dr. Andreas Beyer, Sprecher des Forschungsverbunds „Bilderfahrzeuge – Warburg’s Legacy and the Future of Iconology“, Teilprojektleiter »Art and Nationhood«
„Dieses Modul widmete sich der Frage nach »nationalen« Prägungen der Kunst und zumal von deren Rezeption. Dabei korrespondierte es auf höchst wirkungsvolle Weise mit den aktuellen Debatten um kulturelle Identität und die Definitionen von »Patrimonies«. Im Fokus standen US-amerikanische und britische Selbstverständigungen ebenso wie Transferbedingungen der »Moderne« zwischen Frankreich und Westafrika. In Jahreskonferenzen und Lecture Series wurde zudem die einschlägige kunsthistorische Forschungstradition auf deren Beitrag zur Ausbildung nationaler Stereotype befragt.“
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