Interview mit Dr. Sandra Mühlenberend, Leiterin des BMBF-Projektes „Körper und Malerei“

Gleich zwei, in ihrer Art einzigartige Sammlungsbestände der Hochschule für Bildende Künste Dresden (HfBK Dresden) sind dank des BMBF-Forschungsprojekts „Körper und Malerei“ in neues Licht gerückt und stehen für Forschung und Lehre bereit. Über das Projekt und den würdevollen Umgang mit menschlichen Überresten sprachen wir mit Dr. Sandra Mühlenberend, Kunstwissenschaftlerin, Kuratorin und Autorin.

Bildcollage Neueinrichtung der Anatomischen Sammlung der HfBK Dresden; © HfBK Dresden, Jakob Fuchs, Maria Katharina Franz, Annemarie Huhn

Bildcollage Neueinrichtung der Anatomischen Sammlung der HfBK Dresden

HfBK Dresden, Jakob Fuchs, Maria Katharina Franz, Annemarie Huhn

Frau Dr. Mühlenberend, vor kurzem haben Sie die Anatomische Sammlung mit über 700 Modellen, Präparaten und Lehrtafeln zur Human und Tieranatomie als Lehr- und Schauraum wiedereröffnet. Welche Bedeutung hat dieses Projekt für Forschung und Lehre?

Hier sind zwei Aspekte wichtig. Im Sinne der Kunstakademie können nun an höchst originären historischen anatomischen Modellen und Präparaten Körperaufbau und -strukturen, Materialität und Technologien vermittelt und studiert werden. Das ist etwas ganz besonderes. Darüber hinaus hat unser Projekt eine erweiterte Bedeutung im Zusammenhang mit dem ethisch korrekten Umgang mit menschlichen Überresten: Die gewonnenen und für die Öffentlichkeit – auch digital – aufbereiteten Informationen zur Sammlung eröffnen weitere Diskussionen zu Herkunft und Verantwortung, ermöglichen interdisziplinäre Forschung und vielseitige Lehrinhalte zum künstlerisch-wissenschaftlichen Körperbild.

Warum sind anatomische Modelle in digitalen Zeiten für die Kunst wichtig?

Es gibt tiefgreifende Unterschiede zwischen der Betrachtung digitaler Modelle und der eigenen Begegnung mit physischen Objekten. Letztere fordern den Begegnenden auf, sich selbst dem Objekt zu nähern und seinen eigenen Standpunkt – im Sinne des Wortes – zu variieren. Die Definition der eigenen Position, das Haptische und die komplette Sinneserfahrung sind wesentlicher Teil des Kunstschaffens.

Hinter jedem Gebein steht die Biografie eines Menschen

Dr. Sandra Mühlenberend

Menschliche Überreste in Sammlungen und Universitäten sind ins Zentrum heftiger Debatten um ihre Herkunft, ihre Aufbewahrung und Präsentation gerückt. Werfen bestehende Regelungen berechtigte Fragen nach Ethik und Menschenwürde auf?

Vielerorts ist die Erschließungs-, und teils auch die Aufbewahrungssituation menschlicher Überreste prekär. Das führt zu Diskussionen, wie wir damit in Museen und Sammlungen umgehen wollen und somit auch mit den Spuren vergangener Gewalt. Jener Gewalt, die mitunter auch Teil der Beschaffungsgeschichte(n) einzelner Sammlungsstücke ist. Diese Fragen betreffen nicht nur die Aufarbeitung der Vergangenheit, sondern auch den heutigen Umgang, die aktuelle Nutzung sowie das mitunter gebotene Ende weiterer Nutzungen. Deshalb haben wir im Rahmen des Forschungsprojekts eine Handreichung „Menschliche Überreste im Depot. Empfehlungen für Betreuung und Nutzung“ erarbeitet, die alle historischen menschlichen Überreste in Museen und Universitäten in den Blick nimmt und  – ergänzend zu den einschlägigen Empfehlungen des Deutschen Museumsbundes – Hilfestellungen für einen würdevollen und reflektierten Umgang geben soll.

Wie ist die Resonanz darauf?

Wenn man lernt, sieht oder erfährt, dass man heute im „historischen Windschatten“ vergangener Gewalt agiert oder von den Konsequenzen vergangener Gewalt heute noch profitiert, so gibt es verschiedene Strategien, damit umzugehen. Eine mögliche Strategie haben wir mit dem Projekt und der Handreichung vorgeschlagen. Die Resonanz ist gut, denn viele suchen derzeit andere Lösungen als das Wegsehen und Übersehen. Je mehr Provenienzforschung stattfindet, umso mehr findet Arbeit in den Depots statt, und viele Kolleginnen und Kollegen, seien es Historiker, Restauratoren oder Museologen, werden mit einer Fülle von Gebeinen konfrontiert. Schon allein das Handling wirft Fragen auf, so auch die konservatorischen Bedingungen und die Verarbeitung des Gesehenen und Erforschten. Nicht alle Fragen sind beantwortet – unsere Handreichung lädt ein zu weiteren Diskussionen und Zusätzen, die in einer zweiten Auflage gefasst werden sollen.

Frau Dr. Mühlenberend, vielen Dank für das interessante Interview!

Anatomische Sammlung der Hochschule für Bildende Künste Dresden

Die Anatomische Sammlung ist ein Teilbestand der Kunstsammlung der Hochschule für Bildende Künste Dresden und umfasst rund siebenhundert Objekte mit über tausend Einzelteilen historischer Lehrmittel aus dem Zeitraum des beginnenden 19. Jahrhunderts bis zu den 2000er Jahren. Sie umfasst Modelle aus Gips, Wachs und Kunststoff, die den Muskelaufbau des Körpers demonstrieren und dem Studium des anatomischen Zeichnens von Mensch und Tier dienten. Damit ist sie eine der umfangreichsten und komplettesten an einer Kunsthochschule erhaltenen Lehrsammlungen zur Human- und Tieranatomie und somit eine Dokumentation der kontinuierlichen Lehre zur Künstleranatomie. Mit dem Abschluss des BMBF-Forschungsprojekts „Körper und Malerei“ ist die Anatomische Sammlung als Lehr- und Schauraum Ende 2019 wieder zugänglich.
Quelle: https://portal.wissenschaftliche-sammlungen.de/SciCollection/6518