Das Akademieprojekt „Limes und Legion“: neue Funde, neue Einblicke
Einst prägten römische Legionen das Leben am Niederrhein, über fünf Jahrhunderte lang. Ihre Spuren sind bis heute erhalten, aber längst nicht erforscht. Was es am Niedergermanischen Limes neu zu entdecken gibt, erfahren Sie hier im Interview zum Akademieprojekt „Limes und Legion“.
Im Zuge des Projektes werden alte Grabungen ausgewertet, unter anderem eine sehr gut erhaltene römische Töpferei aus Bonn. Hier sieht man noch die Reste eines Töpferofens.
Carsten Maas/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland
Das Akademieprojekt „Limes und Legion – Die Wirkmächtigkeit römischer Militärpräsenz am Niedergermanischen Limes. Edition und Interpretation archäologischer Quellen“ der Nordrhein-Westfälischen Akademie der Wissenschaften und der Künste hat sich seit 2022 Großes vorgenommen: Bislang nicht oder unzureichend erforschte archäologische Funde aus über 200 Jahren zu analysieren – zusammen mit Partnern und mit digitalen und naturwissenschaftlichen Methoden. Das Ziel: in der Projektlaufzeit von 18 Jahren die Funde wissenschaftlich zu erschließen und als edierte Quellen für zukünftige Forschungen erstmals umfassend zugänglich zu machen.
Was macht den Niedergermanischen Limes mit seinen Legionslagern Bonn, Neuss, Xanten und Nijmegen für Ihre Forschungen besonders spannend?
Dr. Uta Schröder wertet als Post-Doc eine Grabung aus Neuss aus. Dafür werden die Artefakte beschrieben, vermessen, datiert und in einer Datenbank erfasst.
Jürgen Vogel/LVR-Landesmuseum Bonn
Professor Bemmann: Der Niedergermanische Limes, dessen 44 Fundstätten seit 2021 zum UNESCO Weltkulturerbe zählen, erstreckt sich über rund 400 Kilometer vom Rheinischen Massiv südlich von Bonn bis zur niederländischen Nordseeküste. Die Außengrenze des Römischen Reiches am Niederrhein war keine feste, sondern eine „fluide“ Grenze: der Rhein. Entlang des Rheins bestand eine breite Kontaktzone mit reger Mobilität – und das über fünf Jahrhunderte. Und dort, wo die Grenzen fließend sind, nähern sich Kulturen an. Aufgrund der langen Verweildauer der Legionen und ihrer bislang unerforschten Spuren haben wir beste Voraussetzungen, zivilgeschichtliche Aspekte, wie etwa die Rolle des Militärs als Motor für die regionale Wirtschaftsentwicklung oder auch technische Innovationen, neu zu erforschen.
Dr. Schröder: Seit dem frühen 19. Jahrhundert fanden entlang des Rheins und vor allem in den Legionslagern von Bonn, Neuss, Xanten und Nijmegen zahlreiche Grabungen statt. Bis heute sind viele dieser Grabungen gar nicht, kaum oder nur in veralteten Veröffentlichungen vorgelegt. Mit unserem Akademieprojekt werden wir diese blinden Flecken ausleuchten – und erstmals viele dieser Quellen auswerten. Damit gewinnen wir neue Erkenntnisse, nicht nur zu den Legionsstandorten, sondern auch zu ihrem unmittelbaren Umfeld, etwa zu den Zivilsiedlungen und Gräberfeldern. Diese Fundplätze sind sehr, sehr wichtige Vergleichsorte, die man in Bezug stellen kann, sobald die Quellen ediert sind. Die Chronologie ist hierbei ein entscheidender Faktor, da wir – und auch nachfolgende Generationen – Entwicklungen über einen langen Zeitraum erforschen und nachverfolgen können.
Könnten Sie diese Entwicklungen kurz skizzieren?
Zwischen den 1950er und 1980er Jahren kam es in Neuss zu umfangreichen Baumaßnahmen, die archäologisch begleitet wurden. 1956 besichtigte Harald von Petrikovits als damaliger Leiter des Bonner Landesmuseums die Ausgrabungen.
Clemens-Sels-Museum Neuss
Professor Bemmann: In den Epochen vor der Ankunft der Römer lebten die Menschen in dörflichen Strukturen, die auf Selbstversorgung ausgerichtet waren. Es gab weder Stadtanlagen, noch eine ausgeprägte soziale Differenzierung. Und dann kamen die Römer – und alles ging von 0 auf 100. Erste Legionen wurden unter Kaiser Augustus (regierte 31 v. Chr. –14 n. Chr.) am Rhein stationiert, der sich unter Kaiser Claudius (regierte 41– 54 n. Chr.) zur Grenze entwickelte. Die Römer errichteten fortan Militärstützpunkte für tausende Legionäre, die versorgt sein mussten. Sie beschafften Waren aus dem Mittelmeerraum, gründeten Städte und bauten Wirtschaft und Landwirtschaft aus. Kurz: Sie brachten völlig neue Konzepte, was Wirtschaften, Leben und Technologie anging; diese strahlten auf die gesamte Region am Niederrhein und auch darüber hinaus aus.
Dr. Schröder: Bei meinem Teilprojekt, dem Legionslager Neuss und seinem Umfeld, bietet sich die Möglichkeit, den Wandel eines römischen Militärstandorts vom Beginn der römischen Kaiserzeit bis in die Spätantike hinein zu verfolgen. Mit der Zeit entstand dort eine regionale Ausprägung der römischen Sachkultur, in die lokale und fremde Traditionen einflossen. Ob Münzen, Kleidung, Tonwaren oder andere Gebrauchsgegenstände – anhand der Funde über einen langen Zeitraum hinweg können wir nachweisen, wie sich Gemeinschaften unterschieden, annäherten oder wie weit Handelsnetze reichten, um nur einige Aspekte zu nennen.
Welche Methoden setzen Sie ein, um das Leben der Legionäre und Zivilbevölkerung zu erforschen?
Besonders auffällig ist ein Frauenskelett, welches eine verheilte Fraktur am linken Bein zeigt.
P. Bürschel/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland
Professor Bemmann: In unserem Akademieprojekt legen wir sehr viel Wert auf das Zusammenspiel von naturwissenschaftlichen Untersuchungen und unseren traditionellen archäologischen Methoden, um umfassende Erkenntnisse über Fernkontakte und lokale Bräuche der einstigen Bewohner des römischen Gebiets zu gewinnen. So wird beispielsweise ein Gräberfeld in der Bonner Irmintrudisstraße gleichzeitig bearbeitet in der Archäologie und der Anthropologie. Im Rahmen einer Dissertation erforscht Alessia Bareggi Osteobiographien am römischen Limes anhand von Skelettresten. Sie hat ein Frauenskelett untersucht, das eine verheilte Fraktur am Bein hatte. Die Frau, wir nennen sie „Limb Lady“, wurde dennoch sehr alt, was bedeutet, dass sie auch nach dieser Fraktur lange versorgt werden konnte, was schon sehr erstaunlich für diese Zeit ist.
Einblicke ins Alltagsleben der damaligen Zeit, etwa zu Ernährungsgewohnheiten, Gesundheit oder Mobilität der Bewohner, erhalten wir dank aufwendiger Analysen. Von der Genetik bis zur Mikrobiologie – was den Einsatz moderner Methoden angeht, sind wir vorne dabei. Es tut sich immens viel, weil wir mit immer weniger Probenmaterial eigentlich immer mehr herausfinden. Aber wir arbeiten auch ganz konventionell, zum Beispiel, wenn es um die Verbreitung von Münzen oder Keramik geht. Das hängt ganz von den Teilprojekten und Funden ab.
Wie arbeiten in Ihrem Akademieprojekt Universitäten, Museen und Denkmalpflege zusammen?
In den Magazinen des LVR-Landesmuseums Bonn stapeln sich neben Keramikgefäßen und Metallobjekten, Steinartefakte, die bisher nicht wissenschaftlich ausgewertet wurden.
Werner Oenbrink/Universität Bonn
Professor Bemmann: Einen so großen Fundus kann man nur über einen langen Zeitraum und zusammen mit kompetenten Partnern bewältigen. Das Bonner Landesmuseum des Landschaftsverbands Rheinland (LVR), unser Schlüsselpartner, hat seine Fundstücke aus den Magazinen geholt, gesichtet und digital erfasst. Auf diesem Fundus bauen wir in unserem Akademieprojekt auf. Neben dem Landesmuseum und unserer Bonner Universität wirken auch die Universitäten in Nijmegen und München, das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland sowie weitere Museen mit. So verbinden wir nicht nur unterschiedliche Disziplinen und Perspektiven, sondern erhalten auch Zugang zu verschiedenen Archiven.
Und wo finden sich Ihre Forschungsergebnisse?
Dr. Schröder: Wir beziehen in erster Linie unser Material aus den Archiven und bearbeiten das Ganze. Die Daten, die wir erheben oder was wir digitalisieren, fließen in die jeweiligen Datenbanken, die es schon gibt, zurück. Das heißt, die Kolleginnen und Kollegen können dort vor Ort auch schon mit unseren Daten weiterarbeiten.
Professor Bemmann: Diese Vorgehensweise ist aus unserer Sicht nachhaltiger, als eine gesonderte digitale Plattform zu errichten. Denn die etablierten Datenbanken, mit denen die Fachwelt bereits arbeitet, werden dauerhaft gepflegt und bleiben langfristig erhalten. Unsere Ergebnisse publizieren wir aber auch ganz klassisch als Printpublikationen, etwa die beiden Tagungsbände zu unseren Fachkonferenzen in Bonn. Nächstes Jahr findet in Xanten eine große Feier zum UNESCO Weltkulturerbe statt, dort beteiligen wir uns mit einem Informationsstand.
Noch eine Frage: Welche Chancen bietet Ihnen Ihr Akademieprojekt?
Römische Gräber verfügten in der Regel über Beigaben, wie dieses Brandgrab aus Nijmegen-Ost (ca. 100 n. Chr.).
Rob Mols/Gemeente Nijmegen
Dr. Schröder: Das Akademieprojekt bietet große Chancen für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler – wir können langfristig am Stück finanziert forschen. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Besonders wichtig ist mir, Forschungslücken zu schließen und die Quellen so zu bearbeiten, dass auch andere sie für ihre Forschung nutzen können.
Professor Bemmann: Im Laufe des Akademieprojekts werden wir unzählige Quellen erstmals edieren. Im Zuge dessen werden wir uns von lieb gewonnenen Einsichten verabschieden müssen und viele überraschende, fundierte und nachprüfbare Erkenntnisse und Zusammenhänge gewinnen. Dieses Wissen geben wir weiter, in die Forschung, in die Öffentlichkeit und auch im Projekt selbst, von den alten Hasen an die jungen. Natürlich geht es auch um die individuellen Karrieren der Menschen, die im Projekt mitarbeiten. Dank der neugewonnenen Ergebnisse lassen sich Karrieren weiter pflegen.
Herzlichen Dank Ihnen beiden für Ihre interessanten Einblicke und weiterhin viele Entdeckungen!
(Das Zoom-Interview fand am 13. Oktober 2025 statt, Fragen und Redaktion: Katrin Schlotter)
Prof. Dr. Jan H. Bemmann Projektleiter und Professor für Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Direkt neben dem weiteren Rest eines Ofens (rote Verziegelung) wurden zwei Standorte von Töpferscheiben gefunden. Diese können durch Reste weißen Tons in der charakteristisch runden Form identifiziert werden.
Carsten Maas/LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland
Alessia Bareggi untersucht als Doktorandin das spätkaiserzeitliche Gräberfeld Bonn-Irmintrudisstraße nach anthropologischen Gesichtspunkten.
Uta Schröder/Universität Bonn
Immer wieder finden sich im Magazin sehr gut erhaltene Objekte, wie diese verzierte Brustplatte eines römischen Schuppenpanzers, die im Stabsgebäude des Bonner Legionslagers gefunden und zwischen 150–250 n. Chr. verwendet wurde.
Foto: Jürgen Vogel/LVR-Landesmuseum Bonn; Zeichnung: Olivia Straub/LVR-Landesmuseum Bonn
Grabstele des Pintaius (40–55 n. Chr.), der in seiner Funktion als Feldzeichenträger in der römischen Armee dargestellt ist.
Jürgen Vogel/LVR-Landesmuseum Bonn
Auch in Bonn gibt es zahlreiche Altgrabungen, die bisher nicht vollständig vorgelegt wurden. Die Lithographie aus dem Jahre 1818 zeigt die Ausgrabungen am Wichelshof.
Jahrbuch der Preußischen Rhein-Universität 1, Heft 2/3, 1819, Beilage
Auch eine private Münzsammlung aus Neuss konnte im Zuge des Projektes bereits katalogisiert werden.
Jürgen Vogel/LVR-Landesmuseum Bonn
Das Akademieprojekt in aller Kürze: Limes und Legion
Das Akademieprojekt „Limes und Legion – Die Wirkmächtigkeit römischer Militärpräsenz am Niedergermanischen Limes. Edition und Interpretation archäologischer Quellen“ der Nordrhein-Westfälische Akademie der Wissenschaften und der Künste läuft seit 2022. Die in über 150-jähriger Sammel- und Ausgrabungstätigkeit gewonnenen archäologischen Materialien der Legionslager werden mit Hilfe moderner digitaler und naturwissenschaftlicher Methoden ediert und interpretiert.
Projektleitung:Prof. Dr. Jan H. Bemmann (Vor- und Frühgeschichtliche Archäologie, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn).
Partner: LVR-Landesmuseum Bonn (Prof. Dr. Michael Schmauder), Lehrstuhl für Provinzialrömische Archäologie LMU München (Prof. Dr. Salvatore Ortisi), Radboud University Nijmegen (Dr. Rien Polak) sowie das LVR-Amt für Bodendenkmalpflege im Rheinland und weitere Museen.
Laufzeit: 2022– 2040
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