Münzen erzählen Geschichte(n): Wie Forschergeist und KI antike Bilderwelten zum Sprechen bringen
Antike Münzen sind mehr als nur Zahlungsmittel – sie erzählen Geschichten über Politik, Religion und Gesellschaft. Das neue Akademieprojekt „IMAGINES NVMMORVM“ (ImagNum) nutzt KI, um ihre Bildsprache für die Wissenschaft zu erschließen und nutzbar zu machen.
Kleine Kunstwerke mit großer Aussagekraft: Antike Münzen gewähren Einblicke in vergangene Zeiten. Ihre Bilder und Legenden erzählen Geschichten, nicht nur über das, was darauf zu sehen ist, sondern auch über die Welt, in der sie einst zirkulierten.
Olbia, ca. 425-400 v. Chr., Münzkabinett Berlin 18226536; Darstellung oben: Avers: Münzgeld in Form und Darstellung eines Delphins; Darstellung unten: Revers: Aufbringung der griechischen Buchstaben ΘΥ auf der flachen Rückseite
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Münzen wurden in der Antike von Herrschern und Staaten geprägt – als offizielles Zahlungsmittel, aber auch als politisches Werkzeug. Sie wurden massenhaft produziert und brachten gezielt Botschaften in Umlauf. „Genau darin liegt ihr Wert für die Geschichte und Kulturerbeforschung: Münzen verbinden Bild, Text und Kontext. Wer sie untersucht, kann herausfinden, wie sich Gesellschaften selbst dargestellt haben – und wie sich diese Darstellungen über Jahrhunderte veränderten“, erklärt Numismatikerin Dr. Ulrike Peter, Arbeitsstellenleiterin des Akademienvorhabens ImagNum der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Spannendes Trio: Numismatik, Kulturerbe und KI
Dr. Ulrike Peter, Numismatikerin an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften Sie leitet das Corpus Nummorum und die Arbeitsstelle Imagines Nummorum.
Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
Die Numismatik – also die Welt der Münzen, Medaillen und Geldgeschichte – zählt zu den so genannten Kleinen Fächern, doch ihre Bedeutung für unser kulturelles Erbe ist groß. Und hier kommt neuerdings Künstliche Intelligenz (KI) zum Zug: Mit Hilfe von Bildanalyse, Text- und Mustererkennung kann KI – bei passenden Rahmenbedingungen und gutem Training – Münzen schneller als je zuvor identifizieren, Prägungen vergleichen oder sogar Stempelverbindungen zwischen den Münzen sichtbar machen. Wo man früher die Lupe nahm, können smarte Algorithmen helfen, etwa beim Digitalisieren, Vernetzen und Erschließen von Münzsammlungen weltweit – und vielleicht schon bald die antike Bildsprache neu entdecken.
KI-Pionier ImagNum
Ansichtsbeispiel der Erfassung einer Entität im ThING
Imagines Nummorum
Seit Januar 2025 verfolgt das Akademieprojekt ImagNum das Ziel, die griechischen Münzen im Münzkabinett Berlin für bildwissenschaftliche und kulturhistorische Fragen zu erschließen – und dabei neue Wege zu gehen. Entstehen soll ein digitaler Bild-Thesaurus auf der Basis von Linked Open Data, ein Werkzeug, das erstmals den gesamten Bildschatz antiker Münzen erfasst und sichtbar macht, wie sich Bildmotive über Raum und Zeit hinweg verbreiteten und wandelten (siehe Kasten). Über 25 Jahre hinweg soll hier ein weltweit einzigartiges Referenzwerk entstehen – ein digitales Gedächtnis antiker Bildwelten.
Die Schatzkammer: Das Münzkabinett Berlin
Herzstück des Projekts ist die Online-Stellung der berühmten Sammlung griechischer Münzen aus dem Berliner Münzkabinett. Mit über 110.000 Stücken zählt sie zu den fünf bedeutendsten der Welt. Die Münzen stammen aus einem Zeitraum von über tausend Jahren – vom 7. Jahrhundert vor Christus bis ins späte 3. Jahrhundert nach Christus. Ihre Herkunft ist ebenso beeindruckend: Sie wurden geprägt von Gibraltar bis Baktrien, von den Skythen im Norden des Schwarzen Meeres bis zu den Handelsmetropolen im Nahen Osten.
Ihre Digitalisierung erfolgt mit höchster wissenschaftlicher Sorgfalt: Jede Münze erhält eine dauerhafte Identifikationsnummer, hochauflösende Bilder und wird in etablierten Datenformaten veröffentlicht. So wird nicht nur der internationale Zugang zur Sammlung erleichtert – es ist zugleich ein aktiver Beitrag zu Schutz und Sicherung dieses Kulturguts.
Wissenschaftliche Erschließung
Besprechung und Diskussion einer Lade von Münzabgüssen aus Gips durch die Teammitglieder (v.l.n.r.) Claus Franke, PD Dr. Vladimir Stolba und Patrick Dörr
Ulrike Peter, Imagines Nummorum
„Unser Ziel ist, in fünf Themenbereichen zu untersuchen, was die Münzbilder über die damalige Gesellschaft verraten. Wir analysieren die Münzen und ihre Bildsprache nach bestimmten Regionen. Derzeit arbeiten wir an Modul 1 von 5. Hier geht es um das Thema Mobilität von Münzobjekten und ihren Bildern anhand der Münzprägung im antiken Kleinasien (Troas und Mysien) und im Schwarzmeerraum“, erläutert Peter. „16000 Münzen liegen bereit. Im Schwarzmeerraum gibt es die Besonderheit, dass dort das erste Geld im 6. und 5. Jh. v. Chr. aus Bronze gegossen wurde, etwa in Form von Pfeilspitzen oder „figürliches“ Geld in Form von Fischen und Delfinen. Wo waren diese indigenen Motive im Einsatz, wo sonst sind sie zu finden? Haben sie sich verändert?“
ThING: Der Thesaurus für antike Münzikonographie
Anfertigung professioneller Fotoaufnahmen und digitale Ablage der digitalisierten Münzen durch die studentische Hilfskraft Sophie Preisler.
Ulrike Peter, Imagines Nummorum
Parallel entsteht eine neuartige Online-Datenbank: der „Thesaurus Iconographicus Nummorum Graecorum“ (kurz: ThING). Dort werden nicht nur alle Münzen ausgewertet und verlinkt, sondern vor allem die Bilder, die sie zeigen, systematisch erfasst und beschrieben. Das Besondere: Mit einem strukturierten Vokabular macht der Thesaurus die vielfältigen Motive und Darstellungen auf griechischen Münzen gezielt durchsuchbar: von Göttern und Herrschern bis zu Tieren, Symbolen oder mythologischen Szenen. Statt nur nach geografischen oder chronologischen Kriterien zu suchen, können Forscherinnen und Forscher künftig gezielt nach Bildmotiven fahnden – und so neue Erkenntnisse über Bildsprache und Bedeutungswandel gewinnen. „Wir müssen natürlich erst die digitale Infrastruktur aufbauen und die KI trainieren. Manche Details kann die KI noch nicht als Bild erkennen, aber über die Beschreibung der Münzbilder ist schon vieles möglich“, sagt Peter.
Künstliche Intelligenz trifft Numismatik
Besonders spannend wird es, wenn die Daten mit KI kombiniert werden – etwa zur automatisierten Erkennung von Münzmotiven oder zum Aufbau semantischer Netzwerke. So entsteht ein digitales Werkzeug, das Forschung, Lehre und Museumsarbeit gleichermaßen inspiriert und vernetzt. „Durch den Einsatz von KI kann es gelingen, riesige Datenmengen effizient zu analysieren“, betont Peter. „Es gibt so viele Münzbilder, die wir einfach noch nicht einordnen können. Ist das eine Fackel auf der Münze? Oder vielleicht doch eher eine Fischreuse? Findet sich so etwas vielleicht auch anderswo? Dank der Verbindung von Numismatik und KI kann ein neues Verständnis für die Bildwelten der Antike entstehen – aber eines wissen wir jetzt schon: Auf eben dieser Münze war es eine Fischreuse, sie wurde am fischreichen Bosporus geprägt.“
Verknüpfungen und Austausch mit dem ikonographischen Bildthesaurus ThING
Terina, Silberstater, ca. 400-356 v. Chr., Münzkabinett Berlin: 18218750, AR 7.73 g; Darstellung links: Avers: Weiblicher Kopf mit Ohrringen und Halsband, vermutlich eine Darstellung der Nymphe Terina; Darstellung rechts: Revers: Geflügelte Siegesgöttin Nike auf einem Altar sitzend und sich abstützend mit einem Vogel im ausgestreckten Arm
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Pantikapeion, ca. 345-340 v. Chr., Goldstater: Münzkabinett Berlin 18200499 (CN coin 59416), AV 9.08 g Darstellung links: Avers: Kopf des Hirtengottes Pan mit Efeukranz; Darstellung rechts: Revers: Schreitender Greif mit einem Speer im Maul
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Prägung aus Byzantion unter Marc Aurel, um 176 n. Chr., Münzkabinett Berlin 18235216 (CN coin 303), AE 18.61 g; Darstellung links: Avers: Brustbild des bärtigen Marc Aurel mit Lorbeerkranz, Panzer und Feldherrenmantel; Darstellung rechts: Revers: Fischreuse.
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Medaillon aus Philippopolis unter Caracalla, 211-217 n. Chr., Münzkabinett Berlin 18201998 (CN coin 766), AE 39.51 g Darstellung links: Avers: Porträt des Kaisers Caracalla mit Aegis und Lorbeerkranz; Darstellung rechts: Revers: Darstellung des Kaisers auf dem Pferd mit Szepter und Gruß-Gestus
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Bronzemünze aus Bizye unter Philippus Arabs, 244-249 n. Chr., Münzkabinett Berlin 18200459 (CN coin 3107), AE 14.15 g; Darstellung links: Avers: Porträt des Kaisers Philippus Arabs mit Lorbeerkranz und Soldatenmantel; Darstellung rechts: Revers: Stadttor mit zwei Türmen und Fallgitter. Darauf unter anderem eine Quadriga sowie weitere Figuren
Zentrale Ziele sind: Publikation der griechischen Münzen im Münzkabinett Berlin, Erarbeitung eines Bild-Thesaurus und bildwissenschaftliche Analysen sowie Schaffung und Nutzung von digitaler Infrastruktur und KI-Werkzeugen.
Das Projekt steht unter der Leitung von Prof. Dr. Annette Haug, Lehrstuhlinhaberin der Klassischen Archäologie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Dr. Ulrike Peter, Projekt- und Arbeitsstellenleiterin an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, und Prof. Dr. Bernhard Weisser, Direktor des Münzkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin (siehe Projektteam).
Es erfolgt in Kooperation der BBAW mit dem Münzkabinett Berlin, der Universität Kiel, dem Deutschen Archäologischen Institut, dem Big Data Lab der Goethe-Universität Frankfurt/M. und dem Centre for the Study of Ancient Documents, University of Oxford.
Corpus Nummorum Online
Das Corpus Nummorum Online ist ein Forschungswerkzeug für antike Münzen und der zu ihrer Herstellung verwendeten Stempel. Die Münzen sind nach Typen kategorisiert. In dem Portal sind die Münzen von der archaischen Zeit bis hin zu den unter römischer Herrschaft emittierten Prägungen von Moesia inferior, Thrakien, Mysien und der Troas recherchierbar. Es dient als Basis für das Akademienvorhaben „IMAGINES NVMMORVM“, das darüber hinaus alle zugänglichen antiken griechischen Münzen auswertet und mit dem Bildthesaurus verlinkt.
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